VON DER PILLE ZUM PC
Aus dem Vorwort
Fast ein halbes Jahrhundert lang führte ich beruflich das
Leben eines Bigamisten, da ich sowohl in der akademischen Welt
als auch in der Industrie tätig war. Wie die meisten bigamistischen
Beziehungen war auch meine voller potentieller Fallstricke, jedoch
nie ohne ihren speziellen prickelnden Reiz. Und alles spielte
sich in einem klar abgegrenzten Revier ab, nämlich in den
Naturwissenschaften, genauer gesagt in der Chemie. Aber nachdem
ich vierzig Jahre als Chemiker in der Forschung gearbeitet hatte,
begann ich mich eines Tages in einen Schriftsteller zu verwandeln,
im wesentlichen in einen Romanschriftsteller. Warum und wie es
zu dieser Metamorphose kam, ist Gegenstand meines autobiographischen
Essays.
Aus dem Kapitel 12
Ich begann diese autobiographische Betrachtung meines literarischen
Lebens mit dem Hinweis auf das freudige und erregende Gefühl,
in meinen Sechzigern ein völlig neues berufliches Leben begonnen
zu haben. Ich schließe mit dem Geständnis, daß
es nicht ganz unproblematisch ist, einem alternden Körper
eine neue intellektuelle Geburt aufzuerlegen. Paul Klee, mein
Lieblingsmaler, dessen Werke ich seit Jahrzehnten sammle, brachte
dieses inhärente Problem in einem seiner Gedichte zum Ausdruck.
Die folgende Zeile ist über dem Eingang meines Arbeitszimmers
in San Francisco zu finden:
Es tickt und tickt die Zeit, und die Feder ist schon
eingetaucht.
Klees Zeile beschreibt mit poetischer Knappheit, wie sehr mich
inzwischen der Zeitfaktor beschäftigt, der so im Vordergrund
steht, daß diese Zeile nicht nur als Sinnspruch dieser literarischen
Autobiographie dienen könnte, sondern dereinst auch als meine
Grabinschrift.
Autobiographische Schriften sind per definitionem voller Konzessionen
- bewußter oder unbewußter Art -, und dieser Aufsatz
bildet keine Ausnahme. Autobiographie ist aber auch Geschichte
und blickt folglich immer zurück. Ich schließe darum
mit einem Blick nach vorn:
Der Autor wissenschaftlicher Artikel kennt immer sein Publikum,
häufig sogar namentlich. Nicht so der Romanautor, dessen
Publikum sehr viel größer, sehr viel unterschiedlicher
ist und häufig aus Lesern besteht, die rein zufällig
zu seinem Roman gegriffen haben. Aber ein Roman lebt nur, wenn
er gelesen wird, wenn zwischen Leser und Autor ein unausgesprochener
Austausch stattfindet. Als Verfasser von Hunderten von wissenschaftlichen
Veröffentlichungen erfreute ich mich häufiger intellektueller
Kommentare seitens meiner Leser. Als Belletristikautor vermisse
ich dieses Feedback, das sich hauptsächlich bei öffentlichen
Lesungen und nur selten in Zuschriften einstellt. Das ist der
Hauptgrund, weshalb ich meine Verleger bewogen habe, in meinen
Büchern meine Internet-Adresse (http://www.djerassi.com)
anzugeben, da sich hier ein ganz neues Kommunikationsmittel zwischen
Autor und Leser anbietet. Es ist nicht verwunderlich, daß
die Qualität dieses intellektuellen Meinungsaustausches eine
ziemliche Bandbreite abdeckt - vom Lächerlichen bis hin zum
Erhabenen. Aber einer der Vorzüge der Kommunikation mittels
E-mail ist, daß ein leichter Druck auf die Löschtaste
des Computers jede Botschaft spurlos vernichtet, ohne die Umweltbelastung
durch Altpapier zu erhöhen.
Die Befriedigung, die mir dieser Meinungsaustausch verschafft,
ist einer der Gründe, warum ich nun eine weitere literarische
Karriere in Angriff nehme, nämlich die des Bühnenautors,
obgleich die Zeit tatsächlich tickt und tickt. Es hat mir
stets großes Vergnügen bereitet, die Dialoge in meinen
Romanen zu entwickeln, höchstwahrscheinlich deshalb, weil
es mir als wissenschaftlichem Autor nie erlaubt war, in dieser
monologischsten Form der Literatur - nämlich dem wissenschaftlichen
Artikel oder der Monographie - Dialoge zu verwenden. Theaterstücke
dagegen sind reiner Dialog. Aber noch wichtiger ist, daß
Theaterpublikum immer live ist. Als begeisterter Theaterbesucher
wundere ich mich seit Jahrzehnten darüber, daß in einer
der persönlichsten und lebendigsten Formen des literarischen
Ausdrucks die Naturwissenschaften praktisch nicht vorkommen.
Nachdem ich in den vergangenen zehn Jahren meinen Beitrag zu dem
vernachlässigten Genre der "Science-in-Fiction"
geleistet habe, versuche ich nun, "Science-in-Theater",
die Wissenschaft im Theater, populär zu machen, indem ich
mich auf eine Trilogie in diesem mehr als seltenen Genre einlasse.
Irgendwie ist es beängstigend, darüber zu spekulieren,
ob meine neue Tätigkeit als Dramatiker das letzte Kapitel
meines zweiten Lebens ist oder aber das erste Kapitel einer dritten
Wiedergeburt.
80 Seiten
Haffmans Verlag, Zurich
1. Auflage, Februar 1998
ISBN 3 251 00392 5
DM 10.-/öS 73.-/sFr.10.-