dieUniversitaet.at- Wissenschaft + Politik + Gesellschaft

Porträt eines intellektuellen Polygamisten

Abb. Carl Djerassi, der "Vater der Pille", folgte der Einladung der Wiener Siemens Academy of Life und bot einen breiten Einblick in sein Leben, das er, wie er selbst formuliert, "intellektuell polygam" führt.


Manuela Andiel am 13.06.2001

1923 wurde Carl Djerassi als Sohn eines österreichisch-bulgarischen ÄrztInnenehepaares in Wien geboren. Seine jüdische Herkunft zwang ihn zur Emigration, über Bulgarien flüchtete er in die USA. War Carl Djerassi einmal "assimilierter, säkularisierter Wiener Jude", nicht österreichischer, wie er sich selbst beschreibt, so sieht er sich heute als fundamentalistischen Agnostiker und Weltbürger mit Wohnsitz in London und San Francisco. Dass man ihn damals aus seiner Heimat "hinausgeschmissen" hat, kann der vielfach Ausgezeichnete verständlicherweise bis heute nicht vergessen.

Die "Pille für die Frau"

Carl Djerassi gelang 1951 die sensationelle Entwicklung der "Pille", eines erstmals oral einzunehmenden Verhütungsmittels. Schlagartig erlangte er damit internationale Bekanntheit und ging als "Vater der Pille" in die Geschichte ein. Die Bezeichnung "Anti-Baby-Pille" wies Carl Djerassi jedoch immer zurück, denn "die Pille sei nicht eine gegen Babies, sondern eine für die Frau". Die durch die Pille mit ausgelöste sexuelle Revolution bedeutete für die Frau allerdings nicht nur "stressfreien Geschlechtsverkehr", sondern auch, dass Männer sich schnell daran gewöhnten, das Thema Empfängisverhütung gemeinsam mit der Unterhose abzustreifen.

"Ethische Fragen stellen sich der Gesellschaft, nicht der Wissenschaft"

Der renommierte Chemiker beschäftigt sich bis heute mit dem Themenkreis der Empfängnis. So befürwortet er beispielsweise die Präimplantationsdiagnostik (PID), wobei eine in-vitro befruchtete Eizelle vor der Einpflanzung in den weiblichen Körper auf gesundheitliche Defekte untersucht wird. Werden dabei Krankheiten, wie z. B. das Down-Syndrom, festgestellt, wird das befruchtete Ei erst gar nicht eingepflanzt. Der "Vorteil dieser Verfahrensweise" sei, dass den Eltern dadurch die belastenden Überlegungen bezüglich eines Schwangerschaftsabbruches abgenommen würden. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich Frauen, bedingt durch längere Schulbildung und Ausüben eines Berufes, erst später für ein Kind entscheiden, sei die PID sinnvoll. Darüber hinaus bewegen sich die reichen Länder des Nordens, wie Carl Djerassi ausführte, in Richtung einer "geriatrischen" Gesellschaft – ältere Menschen bleiben gesund und leben länger, wenig junge kommen nach. Carl Djerassi argumentiert deshalb seine Befürwortung der PID folgendermaßen: "Entscheidet sich hier noch jemand für ein Kind, so soll es ein gesundes sein." Leben beginne nicht bereits mit der Verschmelzung von weiblicher Ei- und männlicher Samenzelle, sondern erst ab dem Einnisten des befruchteten Eis im Körper der Frau. Für den Wissenschafter Carl Djerassi sind ethische Probleme Fragen, die sich einer Gesellschaft stellen, aber nicht der Wissenschaft. Absolute Grenzen zu setzten und globale Verbote auszusprechen, sei für die Gesellschaft kontraproduktiv und gegen die menschliche Neugier, erklärte Carl Djerassi, der damit vor allem die Neugier für sich in Anspruch nimmt und die Wissenschaft losgelöst von der Gesellschaft betrachtet.

Auf zu neuen Taten

Carl Djerassi, der intellektuelle Polygamist, ursprünglich Chemiker und Naturwissenschafter, ist auch Theaterautor, Kunstmäzen, Manager und Literat – er steht u. a. auch für den literaturwissenschaftlichen Begriff "Science-in-fiction", worunter die Etablierung der Welt der Wissenschaft im Roman verstanden wird. Nach seiner wissenschaftlichen Karriere widmete er sich dem Schreiben von Romanen und zeigte auch mit über 60 Jahren keine Scheu, sich einem gänzlich neuen Gebiet zu widmen. Erfolg hatte er auf fast allen Gebieten, nur nicht beim Film. Angst scheint er einzig davor zu haben, dass ihm nicht mehr genügend Zeit bleibt, alle seine Ideen Realität werden zu lassen.

Bei diesem Wien-Besuch bot Carl Djerassi auch Einblick in sein Privatleben. Er sprach u. a. darüber, wie er eine Krebserkrankung überstand und den Selbstmord seiner Tochter Pamela, einer jungen Künstlerin, verarbeitete: Dazu versetzte er sich, so erklärte er, in einen Zustand "persönlicher Anästhesie", einer Art hoher Produktivität, die als emotionales Narkotikum ihre Wirkung tat. Um dem Tod etwas Lebendiges entgegen zu setzen, gründete er das Djerassi Resident Artists Program in Kalifornien. Der heute 77jährige lebt nun in dritter Ehe mit Diane W. Middlebrook, Professorin für Englisch an der Stanford University, zusammen und ist weiterhin sehr aktiv. In der ihm eigenen Mischung aus Understatement und Sinn für treffenden Humor wirkt der intellektuelle Polygamist charmant arrogant und bisweilen eitel. Besprechungen seines literarischen Schaffens finden sich unter: www.djerassi.com