Vorspiel

von Carl Djerassi

 

Originale Buchfassung revidiert f�r die Premiere

am King's Head Theatre in London, Mai 2014

 

(mit dramaturgischer Unterst�tzung von Darren Turnstall,

Andy Jordan und Samantha Wright)

 

 

Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria M�ssner


 

 

Vorwort

 

Hannah Arendt (1906-1975), Theodor W. Adorno (1903-1969) und Walter Benjamin (1892-1940) gelten mit Recht als �berragende Geistesgr��en unter den deutschen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Arendt, eine ber�hmte Politikwissenschaftlerin, und Adorno, einer der Begr�nder des Instituts f�r Sozialforschung der Frankfurter Schule und international anerkannter Soziologe, Philosoph und Musiktheoretiker, verband eine heftige Abneigung, doch beide bewunderten, ja verg�tterten Benjamin. Dass Adorno sein Leben lang ein unverbesserlicher Frauenheld war (was er seiner Ehefrau Gretel gegen�ber offen zugab, die sogar einige seiner Liebesbriefe tippte) und sich intensiv mit seinen Tr�umen besch�ftigte, ist hinl�nglich belegt, ebenso der Umfang des sehr pers�nlichen und ausgedehnten Briefwechsels zwischen Benjamin und Gretel Adorno. Au�erdem spricht alles daf�r, dass Benjamin eine Aktentasche bei sich hatte, als er von Frankreich nach Spanien floh, wo er im September 1940 Selbstmord beging. Die Aktentasche und deren Inhalt (�ber den schon viel spekuliert wurde) wurden nie gefunden. Das alles sind Fakten, ebenso die lange Beziehung zwischen Hannah Arendt und dem Philosophen Martin Heidegger.

 

Aber das Ausma� der von einigen der Personen an den Tag gelegten Eifersucht, der mutma�liche Inhalt von Benjamins verloren gegangener Aktentasche und die Erpressung durch Fr�ulein X sind reine Erfindung eines B�hnenautors, der �ber drei Jahre mit biographischen Recherchen in Archiven und der ver�ffentlichten Literatur der Protagonisten verbrachte, nachzulesen in der nicht fiktionalen, biografischen Darstellung dieser faszinierenden Pers�nlichkeiten in meinem Buch Vier Juden auf dem Parnass - Ein Gespr�ch, Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2008.


 

 

 

 

P e r s o n e n

 

 

Theodor ("Teddie") W. Adorno (in den Sechzigern)

 

Gretel Adorno, seine Ehefrau (in den Sechzigern)

 

Die j�ngere Gretel Adorno, seine Ehefrau (in den Drei�igern)

 

Hannah Arendt (in den Sechzigern)

 

Walter Benjamin (Anfang Vierzig)

 

Fr�ulein X, eine Geisteswissenschaftlerin (Ende Zwanzig/Anfang Drei�ig)

 

 

 

 

 

 

Z e i t

 

Die sp�ten Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts

 


 

 

Erster Akt

 

 

Erste Szene

 

��� 1967. Deutschland. Ein Archiv in Ost-Berlin. Nach Dienstschluss.

 

��� Eine Frau (X) sitzt auf einem Stuhl an einem Schreibtisch, den R�cken zum Publikum. Sie wartet, w�hrend ein Mann - ein Archivar �

��� die B�hne �berquert. Er bringt ein B�ndel Dokumente, die er behutsam auf den Schreibtisch legt.

 

Archivar: Hier sind sie.

X: Danke.

Archivar: Sie haben nur 20 Minuten.

X: Bitte...

Archivar: 20 Minuten!�

 

��� Sie greift zu Notizbuch und Stift und beginnt das Dokument so schnell wie m�glich abzuschreiben. W�hrend sie das tut, Beleuchtung an in einem anderen Teil der B�hne auf eine junge Frau, die wir nicht kennen. Ein junger Mann, den wir ebenfalls nicht kennen, erscheint und spricht:

 

Junger Mann (Walter): Das Bild der Vergangenheit fliegt vorbei. Die Vergangenheit l�sst sich nur als ein Abbild wahrnehmen, das in dem Moment aufblitzt, in dem es erkannt werden kann, und das nie wieder erblickt wird. Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen. Denn jedes Abbild der Vergangenheit, das von der Gegenwart nicht als eines ihrer eigenen Anliegen erkannt wird, droht unwiederbringlich verloren zu gehen. Die frohe Kunde, die der Kenner der Vergangenheit mit klopfendem Herzen �berbringt, ist vielleicht schon im Nichts verschwunden, sobald er den Mund �ffnet.

 

Junge Frau (Junge Gretel): Mein liebster Walter, es war sch�n, deinen letzten Brief zu erhalten. Er wurde begierig erwartet, da es fast vier Wochen her war, seit ich zuletzt von dir geh�rt hatte. Aber umso gr��er war meine Freude, als ich den Umschlag aufhob und deine Handschrift sah. Du wei�t, dass ich unseren Briefwechsel als eine Form von Vorspiel betrachte, und je l�nger diese Phase, desto gr��er die Intensit�t dessen, was unweigerlich folgen muss. Wei�t du eigentlich, wie sehr mich die Heimlichkeit unserer Gef�hle erregt? K�nnte ich es dir doch nur leibhaftig zeigen. Eine einzige Geste w�rde so viel mehr ausdr�cken als alle diese Briefe.

 

��� X dreht sich pl�tzlich im Stuhl zum Publikum um. Sie starrt auf das Dokument in ihrer Hand. Sie liest es schnell, �berfliegt es abermals,

�� um sich zu vergewissern, dass sie richtig gelesen hat.

 

X: Gro�er Gott!

���

��� In j�her Eile greift sie zu Notizbuch und Stift, dreht sich wieder mit

��� dem R�cken zum Publikum und beginnt das Dokument so schnell wie m�glich abzuschreiben.

���

��� Beleuchtung aus.

 

Ende der ersten Szene

 

 

Zweite Szene

 

��� 1967. Wohnzimmer der Adornos. Teddie Adorno liegt auf einer "Freud'schen" Couch und gibt sich im Grunde freien Assoziationen hin, den Blick zur Decke gerichtet, w�hrend Gretel Adorno, mit Notizbuch und Bleistift in der Hand, ihm gegen�ber sitzt. Neben ihr steht ein kleiner Tisch. Sie schreibt nicht mit.

 

Adorno: Ich tr�umte, ich sei in ein Bordell gegangen... ein sehr schickes: roter Damast, Pl�schsofas, Kronleuchter, dicke Teppiche. Ziemlich pariserisch... was merkw�rdig ist, wenn man bedenkt, wie selten ich in Paris war.

��� Keine Bewegung von Gretel.

Adorno: Schreib das bitte auf. Ich will das ver�ffentlichen. Die Fakten m�ssen also stimmen. Wo war ich stehen geblieben?

Gretel: Du warst in einem Hurenhaus in Paris.

Adorno: Ich sagte "Bordell", nicht Hurenhaus.

Gretel: Ich lasse mich gern korrigieren, denn mein Teddie, der Connaisseur, kennt bestimmt den Unterschied. Also was jetzt? Paris oder Bordell?

Adorno: Weder noch. Es war nur ein Traum. Aber fahren wir fort. Die Chefin sitzt hinter einem Schreibtisch - Louis Quatorze - und mustert mich durch ihre Lorgnette.

Gretel: Eine Lorgnette? Keine ganz normale Brille?

Adorno: Rede nicht dauernd dazwischen, Gretel! Auf Details gehen wir sp�ter ein, wenn du alles abgetippt hast. (Kurze Pause) Nat�rlich war es eine Lorgnette... sie deutete ja damit auf mich. Und stell dir vor, was sie dann tat: Sie schiebt mir ein Blatt Papier hin und fordert mich auf, es auszuf�llen. Es war ein Formular mit h�chst erstaunlichen Fragen. Sehr pers�nlichen Fragen: welches Buch ich zuletzt gelesen habe... mein Lieblingsfilm... ob ich ein Musikinstrument spiele... ob ich Tennis oder Skilaufen bevorzuge... ob ich schnarche. Ich las nicht weiter, sondern fragte sie, ob das ein Witz sei. "Nein", sagte sie, "das muss jeder neue Kunde ausf�llen." Ich teilte ihr mit, dass ich diese Fragen f�r grotesk hielte im Hinblick auf den Grund meines Kommens. "Irrelevant", erwiderte sie. "Bevor Sie eine Partnerin w�hlen k�nnen, m�ssen wir wissen, ob Sie unseren Anspr�chen gen�gen." Welchen Anspr�chen, fragte ich. "Jeglicher Art", erwiderte sie. "�sthetischen... dialektischen...

 

��� Gretel, die noch kein Wort mitgeschrieben und nur auf ihr Notizbuch gestarrt hat, blickt pl�tzlich auf. Ihre Reaktion ist nicht eindeutig. Vielleicht h�lt sie sich den Mund zu, um ein Lachen zu

��� unterdr�cken.

 

Adorno: ... hermeneutischen ... psychoanalytischen ... linguistischen ... und nat�rlich hygienischen." Ich war so perplex, dass ich mit letzteren begann. "Welchen hygienischen Anspr�chen? Ob ich mir die Z�hne putze oder t�glich ein Bad nehme?" Was sie dann sagte, verschlug mir wirklich die Sprache. "Beides betrachten wir als selbstverst�ndlich ... ebenso die regelm��ige Benutzung eines Bidets."

Gretel: Aber du benutzt nie ein Bidet.

Adorno: Das tun in diesem Land nur wenige...

Gretel: Hast du ihr das gesagt?

Adorno: Nat�rlich nicht. Ich beging den Fehler... das hei�t in meinem Traum... einfach zu sagen: "Kein Bidet!" Punktum! "Aber Sie wissen doch hoffentlich, was ein Bidet ist?", fragte sie, nachdem sie mit ihrem Stift einen missbilligenden Vermerk auf dem Fragebogen angebracht hatte. Bevor ich sie auffordern konnte, keine derart idiotischen Fragen zu stellen, begann sie mir einen Vortrag zu halten. (Ahmt sarkastisch ihre Stimme nach.) "Ein Bidet dient zur Waschung der Genitalien und des Afters... einschlie�lich der inneren Ges��backen, obwohl manche Leute gelegentlich auch ihre F��e und selbst ihre Kleinkinder darin waschen. Aber es wird niemals als Urinal benutzt. Niemals!" (Wieder mit normaler Stimme.) Dummes Arschloch!

Gretel: Teddie. (H�lt das Notizbuch hoch.) Du willst doch keine solchen Ausdr�cke in deinem Buch haben.

Adorno: Na sch�n. Wie w�re es mit "unversch�mtes Luder"?

Gretel: Ich w�rde es abmildern und "arrogante Pute" sagen.

Adorno: Wenn du mich st�ndig unterbrichst, vergesse ich noch den Rest des Traumes. (Kurze Pause) Wie sich herausstellte, war das Thema Bidet damit keineswegs beendet. (Setzt sich auf und sieht Gretel an.) Wei�t du, woher das Wort Bidet kommt?

Gretel: Fragst du das mich oder hat sie dich das gefragt?

Adorno: Beides. (Kurze Pause) Und, wei�t du es?

Gretel: Aus dem Franz�sischen.

Adorno: (gereizt) Das ist ja wohl klar. Aber etymologisch gesehen.

Gretel: Keine Ahnung.

Adorno: Kleines Reitpferd!

Gretel: Du musst nicht gleich beleidigend werden.

Adorno: Und du solltest nicht �berempfindlich sein. Bidet ist das franz�sische Wort f�r ein kleines Reitpferd. Weil man sich rittlings darauf setzt wie auf ein Pferd.

Gretel: Wo hast du denn das her?

Adorno: Von ihr.

Gretel: Ich glaube, ich habe genug von diesem Traum geh�rt.

Adorno: Noch nicht. Du wirst es nicht f�r m�glich halten, was sie als n�chstes sagte. (Wieder mit verstellter Stimme) "Besitzen Sie eine Schwanz-Wasch-Maschine? Wenn nicht, kann ich Ihnen das Modell empfehlen, das unsere M�dchen bevorzugen. Andernfalls verdreifacht sich unser Tarif f�r Fellatio." Erstaunlich, wie viele meiner Tr�ume sich derzeit mit Sex besch�ftigen.

Gretel: Mich wundert das gar nicht.

��� Er feixt.

Adorno: Ich habe dir nie etwas verheimlicht. (Kurze Pause) Nun, fast nichts.

��� Gretel zuckt die Schultern, sagt aber nichts.

Adorno: W�rdest du mir das Ganze bitte vorlesen.

Gretel: (blickt auf das Notizbuch) Das kann ich nicht.

Adorno: Was hei�t hier, das kannst du nicht? Missbilligst du es etwa? Ich habe nicht zum ersten Mal von Bordellen oder Prostituierten getr�umt. Und bis jetzt hast du dich nie beschwert. Warum dann gerade heute?

��� Gretel sch�ttelt nur den Kopf.

Adorno: Gretel!

Gretel: Erinnerst du dich, was du neulich zu mir gesagt hast?

Adorno: Ich sage jeden Tag eine Menge Dinge zu dir. Gib mir einen Tipp.

Gretel: (klappt das Notizbuch auf, bl�ttert darin und liest dann vor) "Je enger aber Tr�ume untereinander zusammenh�ngen oder sich wiederholen, umso gr��er die Gefahr, dass wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden k�nnen."

Adorno: Was ist blo� in dich gefahren, Gretel?

��� Sie sch�ttelt den Kopf, sagt aber nichts.

Adorno: Gretel!

 

��� Sie legt Notizbuch und Stift auf den kleinen Tisch und geht hin�ber zur Couch, auf der Adorno liegt. Sie schiebt seine Beine weg, damit sie sich setzen kann, und beginnt die Post durchzusehen, die sie zuvor mitgenommen hat.

 

Gretel: Sieh an! Ein weiterer Ehrendoktor! Noch dazu aus Wien! Das ist der achte, stimmt's?

Adorno: Der neunte.

Gretel: Bist du sicher?

Adorno: Nat�rlich bin ich sicher. Nenne mir einen Wissenschaftler, der seine Ehrendoktorate nicht mitz�hlt. Und wof�r ist dieser?

Gretel: (liest vor) F�r deine unsch�tzbaren Beitr�ge zur Soziologie, Philosophie und so weiter... f�r deine Beitr�ge zur �sthetik anhand deiner Arbeit zu Walter Benjamin.

Adorno: Nicht schlecht.

Gretel: Aber h�tten sie nicht deine Beitr�ge zur Musikwissenschaft erw�hnen m�ssen, insbesondere in Wien, wo du schlie�lich bei dem allm�chtigen Sch�nberg und Alban Berg studiert hast?

Adorno: (grinsend) Ich weigere mich, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Seien wir ehrlich: Bei Ehrendoktoraten kommt es darauf an, wie viele es sind. Und nat�rlich, wie prestigetr�chtig die Institution ist, die sie verleiht. Dass es in diesem Fall die Nummer neun ist und aus Wien kommt, gen�gt. Findest du nicht?

Gretel: Wenn du das sagst.

Adorno: Ziemlich wenig Post heute. Sonst noch was Interessantes dabei?

Gretel: (nachdenklich) Erinnerst du dich an deinen Traum �ber den Unterschied zwischen �quibrium und �quilibrium?

Adorno: Vage.

Gretel: Du sagtest, "�quibrium" sei das innerste �quilibrium, so etwas wie das seelische Gleichgewicht.

Adorno: Das war nur ein Traum. Es gibt kein �quibrium.

Gretel: Mein lieber Mann, gestatte, dass ich dir widerspreche. Das seelische Gleichgewicht zu bewahren ist ungeheuer wichtig.

Adorno: Von wessen Gleichgewicht sprichst du?

Gretel: Von meinem nat�rlich. Deines konnte ich ja noch nie ersch�ttern...

Adorno: Soll hei�en, dass ich zu pr�potent bin?

Gretel: Ich h�tte es nicht besser ausdr�cken k�nnen. Um mit deinem pr�potenten �quilibrium leben zu k�nnen, musste ich mein eigenes labiles Gleichgewicht... mein �quibrium... hegen und pflegen.

Adorno: Und darum hast du aufgeh�rt, mitzuschreiben?

Gretel: (steht auf und k�sst ihn auf die Stirn) Ich dachte mir, dass du es verstehen w�rdest. Mal sehen, was heute noch gekommen ist.

Gretel: (reicht ihm einige Briefe) Fanpost. Fanpost. Und Rechnungen. Schau dir die Stromrechnung an... ich sollte mir �berlegen, wieder zu Kerzen zu greifen...

Adorno: Und dir die Augen ruinieren? Du bist schlie�lich diejenige, die Diktate aufnimmt, und ich m�chte keinesfalls die Ursache sein, wenn du einen bleibenden Schaden davontr�gst...

Gretel: Das war sarkastisch gemeint. (Kurze Pause) Du merkst es wirklich nie, wenn ich einen Scherz mache, Teddie... Das ist eines der wenigen Dinge, die ich in unserer Beziehung �ndern w�rde... (Sie �berfliegt weitere Briefe)... es w�re nett, ab und zu ein wenig Spa� zu haben...

���

��� Gretel stutzt bei einem Umschlag und betrachtet ihn pr�fend. Teddie bemerkt nichts davon.

 

Adorno: Du lebst mit einem der brillantesten K�pfe Deutschlands zusammen und trotzdem willst du noch mehr? Dass Frauen nie zufrieden sein k�nnen...

 

��� Gretel �ffnet den Umschlag und liest den Brief. Als sie die Unterschrift sieht, zuckt sie zusammen.

 

Adorno: Hast du geh�rt, was ich sage, Gretel?

Gretel: Teddie, kennst du jemanden namens Felicitas?

��� Er denkt nach.

Adorno: In welchem Kontext?

Gretel: Sie schreibt, sie sei eine ehemalige Studentin von dir.

Adorno: Das hilft mir nicht weiter, wenn man bedenkt, wie viele Studenten ich hatte.

Gretel: Ich erinnere mich nicht, f�r dich an sie geschrieben zu haben.

Adorno: Dann war sie es vielleicht nicht wert, dass man sich an sie erinnert. Um was geht es denn? Du wei�t, wie besch�ftigt ich bin -

Gretel: Um Walter Benjamin.

Adorno: Du sagtest doch, es sei jemand namens... Felicitas, oder? Walter ist tot...

Gretel: Sie l�d uns zum Abendessen ein. Behauptet, seine Aktentasche zu haben - die, die verloren gegangen ist.

Adorno: Dann m�ssen wir hin.

Gretel: Aber -

Adorno: Sollte Walters Aktentasche nach all den Jahren tats�chlich aufgetaucht sein?

Gretel: Aber wir kennen diese Person doch gar nicht. Du hast selbst gesagt, dass du dich nicht erinnern kannst, ihr je begegnet zu sein.

Adorno: Falls Walters Aktentasche nach all den Jahren gefunden wurde und wir etwas damit zu tun haben, k�nnte ich das bei der Verleihung der Ehrendoktorw�rde verk�nden. Perfektes Timing, verstehst du?

Gretel: Dann geh halt hin. Mich brauchst du dabei nicht.

Adorno: Im Gegenteil, meine Liebe, ich brauche dich dort als Zeugin.

Gretel: Die Frau k�nnte alles M�gliche erfinden, und du bist so erpicht darauf, weitere Memorabilien von Walter in die Finger zu bekommen, dass du alles akzeptieren wirst, was sie sagt.

Adorno: Es ist doch nur ein einziger Abend.

Gretel: Und ich sage nur: Wie k�nnen wir ihr glauben?

Adorno: Hat denn nicht jeder einen gewissen Vertrauensbonus verdient?

 

Ende der zweiten Szene

 

 

Dritte Szene

 

��� 1967. Wohnung von Hannah Arendt. Theodor Adorno tritt ein. Arendt begr��t ihn mit einer Zigarette in der Hand.

 

Arendt: Kommen Sie rein. Was verschafft mir dieses zweifelhafte Vergn�gen?

Adorno: Meine Frau hat mir von diesem Besuch abgeraten.

Arendt: Das �berrascht mich nicht. Wie geht es ihr?

Adorno: Sie altert nur langsam und mit gro�er W�rde.

Arendt: Beneidenswert. Und Sie selbst?

Adorno: Ich altere weniger langsam und ohne jede W�rde.

Arendt: (nickt knapp) Bitte. (Sie deutet auf einen Sessel.) Nehmen Sie Platz.

��� Er setzt sich.

Adorno: Warum sehen Sie mich so an?

Arendt: Wie denn?

Adorno: Das eine Auge zugekniffen. Wie ein J�ger, der sein Ziel anvisiert.

Arendt: Hat Sie noch nie jemand angeblinzelt?

Adorno: Das war kein normales Blinzeln.

Arendt: Schieben Sie es auf den Zigarettenrauch. Aber vielleicht haben Sie Recht. Zwischen uns war ja noch nie etwas normal.

Adorno: H�tten Sie abgedr�ckt?

Arendt: Ja... ich h�tte Sie mehr als nur ein Mal umbringen k�nnen. Aber nicht heute.

Adorno: K�nnten Sie das n�her erl�utern?

Arendt: Sie haben G�nthers Chancen ruiniert.

Adorno: Das ist �ber 30 Jahre her.

Arendt: An manche Ereignisse erinnert man sich genauer, je n�her es dem Ende zu geht.

Adorno: Wie dem auch sei. Im �brigen habe ich die Chancen Ihres Mannes nicht ruiniert... ich wollte sie verbessern.

Arendt: Indem Sie seine Habilitationsschrift sabotierten?

Adorno: Indem ich sie verz�gerte.

Arendt: Nur weil seine musikwissenschaftliche Dissertation nicht marxistisch genug war? Und weil er Brecht bewunderte?

Adorno: Weil er da oben (Tippt sich an die Stirn) nicht marxistisch genug war! Brechts Marxismus begann und endete hier (Tippt sich auf den Bauch)... oder vielleicht noch weiter unten. Und nat�rlich wegen der Begeisterung Ihres Mannes f�r Heideggers Philosophie. Ziemlich erstaunlich in Anbetracht Ihrer au�eruniversit�ren Intimit�t mit Ihrem Professor... oder wusste Ihr Mann etwa nichts von dieser Liaison? Aber das ist alles Jahrzehnte her, Hannah.

Arendt: Behandeln Sie mich nicht so herablassend! Wir haben uns nie mit Vornamen angeredet... und jetzt ist es daf�r ohnehin zu sp�t.

Adorno: In diesem Fall, Frau Dr. Arendt, gestatten Sie mir, Sie dar�ber aufzukl�ren, dass zwischen Ihrem Mann und mir drei�ig Jahre sp�ter - genau gesagt 1963 - eine sehr offene Aussprache �ber die damaligen Ereignisse stattfand. Und als ich meine fr�here Kritik an seinen musikwissenschaftlichen Kontemplationen erneuerte -

Arendt: (emp�rt) Sie bezeichnen seine philosophische Forschung als "Kontemplationen"?

Adorno: Ich wollte nur h�flich sein. Wissen Sie, was Ihr Mann darauf antwortete? "Mit dem Absatz �ber meine Habilitationsschrift bin ich 100% d'accord." In meinem Vokabular hei�t "100% d'accord" genau das! Er akzeptierte somit, dass ich hundertprozentig Recht hatte, w�hrend Sie noch immer vor Wut sch�umen.

Arendt: Ha!

Adorno: Was hei�t hier "ha"?� Wissen Sie, was er mir au�erdem schrieb? "Dass ich heute Ihre absolute �berlegenheit in Sachen Musikphilosophie gerne zugestehe, brauche ich kaum ausdr�cklich zu machen." In anderen Worten: Er und ich legten unseren Streit bei und pflegten danach wieder einen zivilisierten Umgang miteinander, w�hrend Sie weiter darauf herumhacken -

Arendt:(springt auf) Warten Sie! (Eilt hinaus und kommt mit Briefen in der Hand zur�ck.) G�nther und ich sind zwar geschieden, aber Freunde geblieben. Ich wei� Bescheid �ber diesen Briefwechsel zwischen Ihnen beiden... und ich kenne seine treffende Beschreibung Ihres professoralen Stils. Hier (h�lt ein Blatt hoch und beginnt vorzulesen) einige Kostproben, geschrieben 1963 und nicht 30 Jahre fr�her: "Was mir die Beziehung zu Ihnen unm�glich machte, war der Eindruck von Terrorismus. Trotz Ihrer betonten H�flichkeit und trotz Ihres betont b�rgerlichen Auftretens f�hlt man sich im Gespr�ch physisch in die Ecke gedr�ngt..."

Adorno: (wegwerfend) Das ist lange her. Vielleicht hatte er eine Magenverstimmung.

Arendt: Ich merke, Sie haben sich nicht ver�ndert... und ich darf Ihnen versichern, dass mit meinem Magen alles in Ordnung ist. (Pause, w�hrend sie in den Briefen bl�ttert.) Das hier (wedelt mit einem Blatt) stammt aus Notizen, die er mir �ber ein Treffen mit Ihnen in Wien schickte, das erst vor zwei Jahren stattfand: "Als Ordinarius und Institutsdirektor hat man nicht die uneingeschr�nkte Freiheit, genau die Dinge auszusprechen, die heutzutage gesagt werden m�ssen. Adorno, der gro�e Soziologe, hatte sich von seinen Theorien abgewandt."

Adorno: Genug davon! Falls Sie mich wegen G�nther erschie�en wollen, dann sagen Sie es frei heraus, ohne hier zweifellos aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus seinen Briefen anzuf�hren.

Arendt: Moment, ich� bin noch nicht fertig. "Adorno schaut einen nie an, sondern bewegt st�ndig den Kopf hin und her, teils aus Angst und teils aus Gier, um zu sehen, ob er bemerkt wurde oder ob zuf�llig ein sch�nes M�dchen in der N�he ist."

Adorno: Noch weitere Gr�nde, warum Sie mich t�ten wollten?

Arendt: Ich wollte Sie nicht blo� t�ten... ich wollte Sie kaltbl�tig ermorden. (Pause) Walter Benjamin... den wir beide zu lieben vorgaben -

Adorno: Warum sagen Sie "vorgaben"? Ich liebte Walter wirklich.

Arendt: Wir liebten ihn wegen seines Intellekts... f�r das, wof�r er stand... f�r das, was er schrieb... und meist nicht ver�ffentlichen konnte. Als ich ihn in Marseille traf... kurz vor seiner Flucht �ber die Pyren�en und seinem Selbstmord... sagte er etwas furchtbar Trauriges, das ich nie vergessen habe. Walter... noch in den Vierzigern... sprach vom Altern auf Raten. Bei ihm, sagte er, habe es mit dem Herzen angefangen, sowohl medizinisch als auch emotional. Aber dann habe dieser Prozess auf seinen Geist �bergegriffen. Kein Verlangen nach Freude sei mehr geblieben. Und dann vertraute er mir seine wertvollsten Manuskripte an. Meine Erinnerungen und mein verbliebener Stolz, wie er sie nannte. Arbeiten, die gerettet und ver�ffentlicht werden sollten, wie wir alle fanden.

Adorno: Selbstverst�ndlich.

Arendt: Wie k�nnen Sie es wagen, "selbstverst�ndlich" zu sagen! Ver�ffentlicht hei�t, der �ffentlichkeit zug�nglich... und in Walters Fall ver�ffentlicht in ihrer Gesamtheit.

Adorno: Niemandes Werk verdient es, in seiner Gesamtheit ver�ffentlicht zu werden. Jeder Autor braucht einen guten Lektor.

Arendt: Noch ein weiterer Grund, weshalb ich Sie umbringen wollte. Walter beging den unverzeihlichen Fehler, Sie zu seinem literarischen Nachlassverwalter zu ernennen... und ich beging den unverzeihlichen Fehler, Walters Anweisungen zu folgen und Ihnen einige seiner wertvollsten Schriften auszuh�ndigen, weil mir nie der Gedanke gekommen w�re, dass Sie es wagen w�rden, die Worte eines Toten zu zensieren.

Adorno: Ich "zensiere" Walters Werk... ich "sabotiere" die Habilitationsschrift Ihres Mannes! Frau Dr. Hannah Arendt und ihr bekannterma�en kompromissloses Vokabular!

Arendt: Sie m�gen Walter geliebt haben... auf Ihre eigene solipsistische Art... aber Sie hatten auch Macht �ber ihn, weil Walter Benjamins �berleben in Paris von der finanziellen Unterst�tzung abhing, die Sie ihm aus New York zukommen lie�en.

Adorno: Dass ich ihn unterst�tzt habe... wenn auch in bescheidenem Ma�e... damit er weiterhin schreiben konnte, war gewiss kein Grund f�r einen Mord.

Arendt: Macht impliziert unweigerlich einen dominierenden Einfluss und ist stets mit einer Spur Geringsch�tzung behaftet gegen�ber denjenigen, die man dominiert. Und genau diese Geringsch�tzung nahm ich Ihnen zutiefst �bel. Nur wenige bemerkten sie... aber nur eine fundamentale Geringsch�tzung Walters konnte die Ursache Ihrer Unverfrorenheit sein, sein Werk posthum nach dem Evangelium des Adorno zu redigieren. Ich h�tte die Manuskripte selbst ver�ffentlichen sollen.

Adorno: Was Sie sp�ter ja auch taten, und zwar in Englisch. Das Buch begr�ndete Walters Renommee in Amerika.

Arendt: Aber viel zu sp�t. Sie hatten den Schaden bereits angerichtet, und das in der Sprache, die Walter �ber alles ging.

Adorno: Dennoch waren Sie bereit, mich heute zu empfangen?

Arendt: Aus Neugier. Also, warum sind Sie hier?

Adorno: Auch aus Neugier. Als ein "J�nger" von Walter, genau wie Sie.

���

��� Sie sieht ihm lange bedeutungsvoll in die Augen. Ein leises L�cheln spielt um ihre Lippen.

 

Arendt: Neugier ist der Katze tot, wie Sie wissen...

Adorno: Stimmt... genau das hoffe ich.

 

��� Er zieht einen Brief aus der Tasche und h�lt ihn ihr hin. Sie nimmt ihn und betrachtet den Umschlag.

 

Arendt: Er ist an Ihre Frau adressiert.

Adorno: Das ist mir bekannt.

Arendt: Fangen Sie immer die Post Ihrer Frau ab?

Adorno: Wir haben keine Geheimnisse voreinander.

Arendt: L�blich (Kleine Pause), aber unklug.

Adorno: (deutet auf den Brief) Wenn Sie ihn lesen, werden Sie feststellen, dass es eine Einladung zum Abendessen ist.

Arendt: Was sind Sie beliebt! Und das im vorger�ckten Alter!

Adorno: Sie fragen gar nicht, was der Anlass ist.

Arendt: Das muss ich auch nicht, weil Sie es mir gleich verraten werden.

Adorno: Ich bin hergekommen, weil ich gerne w�sste, ob auch Sie eine Einladung erhalten haben. Ich glaube, es k�nnte interessant werden.

Arendt: Mal sehen. (Sie zieht das Blatt aus dem Umschlag)

Adorno: Ich wusste, dass Ihre Neugier obsiegen w�rde...

 

��� Sie liest. Ihre Miene wechselt von arrogant selbstgef�llig zu resigniert.

 

Arendt: Walters Aktentasche... Ich wei�. Ja, ich habe ebenfalls eine Einladung erhalten.

 

��� Sie sieht ihn einen Moment an, steckt das Blatt dann wieder in den Umschlag.

 

Adorno: Und Sie wollten mir nichts davon sagen?

Arendt: K�nnen Sie mir das ver�beln? Keiner von uns wei�, was sich in dieser Aktentasche befindet. Ich wollte nicht riskieren, dass Sie sich wieder zum Zensor aufschwingen...

Adorno: Was bringt Sie auf die Idee, dass diese Person uns den Inhalt der Tasche - was immer es auch sein mag - zur Ver�ffentlichung anbietet?

Arendt: Warum sollte sie sonst Benjamins literarischen Nachlassverwalter einladen?

Adorno: Das wei� ich nicht genau. Aber ich beabsichtige, es herauszufinden. Ein weiterer Grund, weshalb ich die Einladung annehmen werde.

Arendt: Sie sind zwar alles andere als mein idealer Tischpartner, Herr Professor... aber ich vermute, dass wir beide nur allzu neugierig sind, was uns bei diesem Abendessen erwartet.

Adorno: So scheint es.

��� Er steht auf, macht sich zum Gehen bereit.

Arendt: Bis dann also...

��� Adorno sch�ttelt gespielt entmutigt den Kopf.

 

Ende der dritten Szene

 

 

Vierte Szene

���

��� W�hrend Fr�ulein X die n�chste Szene vorbereitet, erscheinen die � junge Gretel und Walter Benjamin auf der rechten und linken B�hnenseite im Scheinwerferlicht.

 

Junge Gretel: Mein Liebster, bis heute war mir noch nie so klar gewesen, was das "Du" in unseren Briefen zum Ausdruck bringt... eine Art Refugium in unserem Leben, vielleicht das Geheimste und Verl�sslichste, das ich habe. Ich erhielt deinen zweiten Brief, kurz nachdem ich gestern meine Antwort an dich abgeschickt hatte, und ich m�chte ihn umgehend beantworten, damit die Bilder dich noch in Paris erreichen. Selbst wenn du jetzt nicht mehr v�llig allein bist, was mich ganz besonders zu h�ren freut, m�chte ich dir dennoch auf diese etwas primitive Weise Gesellschaft leisten. Ich habe aus diesem Anlass das gr�ne Kleid angezogen, und du wirst mir sicher verzeihen, wenn meine Frisur noch aus dem Jahr 1931 stammt. Um deiner Phantasie ein wenig nachzuhelfen, lege ich eine kleine Stoffprobe bei - zum Streicheln.

 

Walter: Meine Liebste, ich bin entz�ckt, dass dir die Gedichte gefallen haben, und dass du an mich dachtest, als du sie last, meine Worte ber�hrtest. W�hrend ich hier sitze, stelle ich mir vor, wie du die Buchstaben mit dem Finger nachf�hrst, dessen Spitze gewiss schon Spuren von Tinte aufweist, meiner Tinte. Wenn ich deinen Brief an meine Nase halte, atme ich dich ein und werde von deinem Duft fast �berw�ltigt, bis die Entfernung zwischen uns nicht mehr existiert. Ich bin begeistert, dass auch du eine Vorliebe f�r Brecht hast, eine weitere Gemeinsamkeit unter so vielen. Ich lege dir eines seiner Gedichte bei:

 

��� Ich will mit dem gehen, den ich liebe.

��� Ich will nicht ausrechnen, was das kostet.

��� Ich will nicht nachdenklen, ob es gut ist.

��� Ich will nicht wissen, ob er mich liebt

��� Ich will mit ihm gehen, der mich liebt.

 

 

��� Fr�ulein X kommt mit vier Weingl�sern herein, als es klingelt. Sie geht zur T�r.

��� Aus dem Off rechts sind laute Ger�usche von Ankommenden zu h�ren.

 

Gretel: Nein, danke. Ich h�nge meine Jacke selbst auf. Mein Schal steckt im �rmel.

Adorno: Seien Sie bitte vorsichtig mit meinem Hut. Ich m�chte nicht, dass er zerdr�ckt wird. Danke.

��� Lautes Ger�usch aus der Diele.

Arendt: Nein, danke. Alles bestens. Wirklich. Ich nehme meinen Mantel mit hinein, falls Sie nichts dagegen haben. Nein, ich werde sie ganz gewiss nicht ausmachen... ich rauche so selbstverst�ndlich, wie ich atme. Bringen Sie mir lieber einen Aschenbecher, statt Einw�nde zu erheben.

���

��� Adorno, Gretel, Arendt und Fr�ulein X kommen ins Esszimmer. Der Tisch ist f�r 4 Personen zum Abendessen gedeckt. Kerzen flackern. Gretel wendet sich an X, eine scheinbar selbstbewusste junge Frau Ende Zwanzig.

 

Gretel: (streckt die Hand aus) Vielen Dank f�r die Einladung, Fr�ulein...

X: (ergreift herzlich Gretels Hand) Bitte, einfach Felicitas. (Gretel zuckt zusammen, als h�tte man ihr einen Stich versetzt.) Ich bin diejenige, die sich bedanken muss. Ich war nicht sicher, ob Sie kommen w�rden -

Adorno: Und warum nicht?

��� Gretel st��t ihn mit dem Ellbogen an.

Gretel: (zischt) Teddie!

Adorno: (im Fl�sterton) Komm schon, Gretel - sie k�nnte wenigstens ehrlich sein...

X: (mit ausladender Geste) Ist das nicht offensichtlich? Ich bin nur eine armselige Doktorandin... (sieht Teddie an) Sie werden sich vermutlich nicht an mich erinnern...

��� Teddie sieht sie verst�ndnislos an.

X: (leicht sarkastisch) Du meine G�te... ich glaube nicht, dass ich jemals von solchen Geistesgr��en umgeben war - ich m�sste eigentlich ganz aus dem H�uschen sein. Bitte, m�chten Sie nicht Platz nehmen?

Arendt: Sehr freundlich.

Adorno: Ich habe einen B�renhunger.

��� X geht zu Teddie.

X: Herr Professor. Ihre Vorlesungen haben mein Leben ver�ndert - schlicht gesagt, nachdem ich Sie sprechen geh�rt hatte, konnte ich die Welt nie wieder so sehen, wie ich sie urspr�nglich betrachtet hatte - statisch und gleichbleibend - denn ich hatte gelernt, in welchem Ma�e unsere ureigenen Gedanken die Realit�t formen und verwandeln k�nnen... Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?

 

��� Teddie zuckt mit den Schultern. Er nimmt am Kopf des Tisches Platz. X begibt sich zu Hannah.

 

X: Und Sie, Frau Professor Arendt. Ich vermute, dass Sie Vorbehalte hatten, sich uns heute Abend anzuschlie�en - vielleicht sind Sie sich noch im Unklaren dar�ber, weshalb um Ihre Anwesenheit gebeten wurde - aber Sie werden bald verstehen, dass Sie unab�nderlich mit dem wissenschaftlichen Konstrukt verkn�pft sind, das ich �ber Jahre hinweg entwickelt habe. (Kurze Pause) Ohne Ihren Segen k�nnte ich wohl kaum weitermachen... schlie�lich sind Sie eines meiner gro�en Vorbilder. Ihre Anwesenheit ehrt mich zutiefst.

���

��� Sie geht wieder zu Gretel. Sie nimmt Gretels H�nde in ihre und l�chelt sanft.

 

X: Und Sie, Frau Adorno.

Adorno: (unterbricht) Frau Doktor Adorno.

X: Nat�rlich, Frau Doktor. Mir ist, als w�rden wir uns bereits kennen, als w�ren wir im Innersten Schwestern.

��� Gretel scheint unangenehm ber�hrt zu sein.

Adorno: (mischt sich ein, ruiniert den Moment) Werden Sie mal nicht zu vertraulich, Fr�ulein -

X: (unterbricht wieder rasch) Felicitas.

Adorno: Ja, ja... Sie sagten, Sie h�tten Walter Benjamins Aktentasche. Sie werden verstehen, dass ich eine derart k�hne Behauptung anzweifle. Wo sind Sie denn, zuf�llig, auf sie gesto�en?

Arendt: Tja, Professor Adorno redet eben nicht um den hei�en Brei herum, stimmt's?

X: Nein, nein, Professor Adorno hat vollkommen Recht. Nat�rlich nimmt er mich nicht beim Wort. Ich muss sogar sagen - ich w�re entt�uscht, wenn er es t�te! Also werde ich alles erkl�ren.

Adorno: Tun Sie das.

Gretel: Teddie, lass sie ausreden.

Arendt: (zu Gretel) Er kann nichts daf�r - andere reden zu lassen, geht ihm offensichtlich wider die Natur.

X: Da Sie alle anerkannte Experten sind, was Walter Benjamin betrifft... und Sie, Herr Professor, sein literarischer Nachlassverwalter sind...

Adorno: In der Tat.

X: Ist Ihnen sicher sein Sohn Stefan bekannt...

Adorno: Ich habe mich mit Stefan in Verbindung gesetzt... er hat die Aktentasche nicht...

X: Daher ist Ihnen bestimmt nicht neu, dass sein Vater in den Wintermonaten des Jahres 1935 in San Remo in Italien intensiv an einem Manuskript arbeitete und sich weigerte, mit anderen dar�ber zu reden. Offenbar ziemlich untypisch f�r Herrn Doktor Benjamin.

Arendt: (ungeduldig) Und?

Adorno: (setzt zu einem Vortrag an, r�ckt ins Zentrum der Aufmerksamkeit, genie�t es, seine eigene Stimme zu h�ren und mit seinem Wissen zu protzen) Vor kurzem h�rte ich von Walters �ltestem Freund, Gershom Scholem, dass Walter ihm 1932 in einem Brief von einem jungen Mann berichtete, dem er seine Berliner Wohnung untervermietet hatte und dass dieser offenbar einen abgeschlossenen Schrank mit Walters Manuskripten aufgebrochen hatte. Obwohl nichts fehlte, war Walter �u�erst beunruhigt, dass jemand das dort aufbewahrte Material gelesen hatte. (Sieht Arendt an, die w�tend ihre Zigarette pafft.)

X: Wenn ich Sie unterbrechen d�rfte? Im gegenw�rtigen Stadium der grassierenden Benjaminomanie, wo jeder Fetzen Papier von ihm akribisch studiert wird, werden gerade Sie es zu sch�tzen wissen, dass man sich daf�r zu interessieren beginnt, was sich in diesem Schrank befunden haben k�nnte. Stefan wurde vor Kurzem gefragt, ob er etwas dar�ber wisse, und er erinnerte sich pl�tzlich, dass sein Vater einen abgeschlossenen Koffer in San Remo zur�cklie� und seine Exfrau Dora-Sophie gebeten hatte, ihn bis zu seinem n�chsten Besuch aufzubewahren.

Adorno: (verbl�fft) Wie haben Sie das herausgefunden? Und was veranlasst Sie, zu glauben, der abgeschlossene Schrank in Berlin und der abgeschlossene Koffer in San Remo k�nnten die gleichen Unterlagen enthalten haben?

X: Wir wissen es nicht, aber es war ein faszinierender Gedanke.

Adorno: (an Arendt gewandt) Ich muss unserer Gastgeberin ausnahmsweise zustimmen. Da Scholem mehr �ber Walter wusste als jeder andere, schlug er Stefan daraufhin vor, nach San Remo zu fahren, um festzustellen, ob besagter Koffer noch existierte. Stefan folgte zwar seinem Rat, wurde jedoch von den neuen Besitzern der Villa derart misstrauisch empfangen, dass er das Thema nicht einmal zur Sprache brachte. Daher fuhr ich vor einigen Monaten selbst hin und fragte nach... diplomatisch nat�rlich, indem ich erl�uterte, dass ich der literarische Nachlassverwalter von Walter Benjamin bin. Wie man mir sagte, war ich nicht der Erste, der sich nach dem Koffer erkundigte.

Arendt: Darf ich? Nur eine kurze Frage?

Adorno: Da Sie so h�flich fragen -

Arendt: Bezog sich das auf Stefan?

Adorno: Nein. Auf eine Frau. Ich nahm an, dass Sie das waren.

Arendt: Ich habe ihn nicht gefunden, aber vielleicht war ihm noch jemand anderes auf der Spur.

Adorno: (zu X) Sagen Sie nicht, dass Sie das waren!

X: Stefan dachte, dass zumindest einer der Koffer in San Remo geblieben war. Also fuhr ich hin, um ein wenig herumzuschn�ffeln.

X: Ein faszinierendes Thema. Darauf sollten wir nach dem Abendessen detaillierter eingehen - wenn Sie einverstanden sind? Ach!

��� Sie blickt auf ihre Armbanduhr.

Das Essen! W�rden Sie mich bitte entschuldigen? Ich muss mich noch um das eine oder andere k�mmern. Ich bin sicher, dass Sie sich auch ohne mich gut unterhalten werden. Tut mir leid...

 

��� Sie eilt aufgeregt nach hinten ab. Die Adornos und Arendt sehen sich verdutzt an.

��� Musik und Beleuchtung wechseln, um anzudeuten, dass Zeit vergangen ist.

 

��� Adorno und Gretel setzen sich an den Esstisch. Hannah geht rauchend herum und inspiziert das Zimmer. Nach kurzer Pause:

 

Adorno: Das macht sie absichtlich.

Gretel: Was denn?

Adorno: Uns hier warten zu lassen.

Gretel: Warum sollte sie das absichtlich tun?

Adorno: Woher soll ich das wissen? Ich kann mich ja nicht einmal an sie erinnern.

Gretel: Warum sagst du dann so etwas?

Adorno: Was denn?

Gretel: Sei nicht so begriffsstutzig. Dass sie es absichtlich macht, was denn sonst?

Adorno: Du willst mich nur irritieren. Ich bin nie begriffsstutzig. Und das wei�t du. Es w�rde eine langsame Auffassungsgabe implizieren.

��� Sie warten.

Gretel: Sie scheint sich jedenfalls sehr wohl an dich zu erinnern.

Adorno: Selbstverst�ndlich! Studenten himmeln ihre Professoren nun einmal an. Insbesondere Studentinnen. Das wei�t du doch.

Gretel: Wenn du das sagst.

Adorno: Das liegt in der menschlichen Natur.

Gretel: In der menschlichen Natur?

Adorno: Junge Frauen - heiratsf�hige Wesen, leere Gef��e, die Wissen erwerben wollen... und ich stehe vor ihnen: �lter, weltgewandter, eine Koryph�e auf meinem Gebiet...

��� Hannah lacht h�hnisch. Er wirft ihr einen scharfen Blick zu.

Adorno: Er�ffne neue Horizonte. Eine Welt des Wissen, der Ideen, strotzend vor M�glichkeiten. F�r viele dieser jungen Studentinnen ist es ihr erster Blick auf diese Welt - Platos Welt der "vollkommenen K�rper" - die ebenso real ist wie die stoffliche Welt, die sie umgibt... Sie himmeln mich an. War es nicht genau diese alchemistische Reaktion, die dich - die promovierte Chemikerin - zu mir hinzog, als wir uns -

Arendt: (f�llt ihm ins Wort) Darf ich kurz unterbrechen?

Adorno: Es w�re mir lieber, wenn Sie es nicht t�ten.

Arendt: Ich habe nicht nur einen Brief erhalten.

���

��� Beleuchtung auf Adorno langsam aus. Beleuchtung auf Fr�ulein X, die ein Telefon in der Hand h�lt. Arendts Telefon klingelt.

 

Arendt: (nimmt ab) Ja?

X: Professor Arendt?

Arendt: Wer spricht da?

X: Sind Sie Frau Professor Arendt?

Arendt: Ich habe gefragt, wer am Apparat ist.

X: Und ich habe gefragt, mit wem ich spreche.

Arendt: Falls Sie meine Frage nicht beantworten, lege ich auf.

X: Davon w�rde ich Ihnen dringend abraten. Sie... und Professor Adorno... w�rden es bereuen.

Adorno: Adorno? Was in aller Welt habe ich mit Adorno zu schaffen?

X: Dann sind Sie also Professor Arendt! Gut. (Kurze Pause) Sie haben einen Brief erhalten.

Arendt: Wer spricht da?

X: Eine Einladung zum Abendessen. Ich erwarte, dass Sie kommen.

Arendt: Ihr drohender Ton gef�llt mir nicht.

X: "Drohend" ist Ihre Bezeichnung - nicht meine. Aber egal, welches Wort Sie bevorzugen, die Sache betrifft sowohl Sie als auch Professor Adorno.

Arendt: Was soll das? Und was hat Adorno mit mir zu tun?

X: Um einen ber�hmten Philosophen frei wiederzugeben: Drohungen... oder Geschenke... werden nicht nur ausgeteilt oder erhalten, sie k�nnen auch geteilt werden. In diesem Fall geteilt von Ihnen beiden.

Arendt: Freut mich zu h�ren, dass Sie Martin Heidegger zitieren. (Kurze Pause) Aber ich m�chte trotzdem wissen, was Adorno mit diesem Anruf zu tun hat.

X: Na gut. Ich m�chte Sie beide um einen kleinen Gefallen bitten... Sie beide gemeinsam.

Arendt: Was?

X: Ich freue mich darauf, Sie zu sehen.

Arendt: Was k�nnten Adorno und ich wohl f�r Sie tun?

X: Bis Freitag, Frau Arendt.

Arendt: Warten Sie. Und wenn wir Ihnen diesen Gefallen nicht erweisen?

X: Dann werden zwei unbeteiligte Personen ruiniert sein.

Arendt: N�mlich?

X: Gretel Adorno...

Arendt: Warum sollte ich Adornos Frau vor etwas bewahren wollen?

X: Und Walter Benjamin.

 

��� Beleuchtung auf X geht langsam aus. Beleuchtung auf Adorno und Arendt, die ihr fr�heres Gespr�ch fortsetzen. Gretel l�sst sich, von ihnen unbemerkt, auf einen Stuhl sinken.

 

Adorno: Moment mal! Mal ganz langsam. Sie wollen damit sagen, dass man von Ihnen und mir erwartet, etwas gemeinsam zu tun... und das von zwei Professoren, die sich schwarz auf wei� noch nie bei einem Thema einig waren? Und warum? Um meine Frau vor etwas zu bewahren? Wovor denn?

Arendt: Genau das ist die Frage: Vor was?

Adorno: Das ist doch grotesk, impertinent, unversch�mt, absurd, unvorstellbar -

Arendt: (versucht ihn zu beruhigen) Schon gut. Ich verstehe, was Sie meinen.

Adorno: Was k�nnte diese Person �berhaupt...

Arendt: Verehrter Professor Adorno! Sie ist eine ehrgeizige Doktorandin -

Adorno: Sagt sie, aber wir sind hier nicht im H�rsaal... korrigieren Sie mich, falls ich mich irre, da Sie die Situation offenbar im Griff haben...

Arendt: Sie haben ja Recht. Aber sie geht davon aus, dass wir Beziehungen haben. Vor allen Dingen Sie... und wir haben beide einen gewissen Ruf auf diesem Gebiet vorzuweisen. Ich glaube nicht, dass jemals ein Manuskript von Ihnen abgelehnt wurde.

Adorno: Stimmt... und mit gutem Grund.

Arendt: Also?

���

��� X w�hlt diesen Moment, um wieder einzutreten, auf den Armen ein dampfendes Tablett balancierend.

 

X:� Bitte zu Tisch!

���

��� Beleuchtung aus.

 

Ende der vierten Szene

 

 

F�nfte Szene

 

��� 1967. Deutschland. Archiv in Ost-Berlin wie in Szene 1. Nach Dienstschluss. Der Archivar kommt zur�ck.

 

Archivar: Schluss jetzt!

X: (flehend) Bitte nur noch ein paar Minuten!

��� Der Archivar z�gert.

X: (hebt 3 Finger hoch) Drei Minuten?

Archivar: (hebt 2 Finger hoch) Zwei!

 

��� Er geht ab. Sie transkribiert eilends weiter, w�hrend die Briefe wieder vorgelesen werden.

 

Junge Frau: Wir waren noch nie miteinander in der Oper. Aber eines Tages m�ssen wir unbedingt eine Gelegenheit dazu finden. In Berlin? Oder in Paris? Der Ort ist unwichtig. Mit "wir" meine ich uns drei, einschlie�lich Teddie, ich in der Mitte, Teddie zu meiner Rechten und du zu meiner Linken. W�hrend der Vorstellung wirst du in meine Hosentasche greifen... ganz diskret. Du wirst feststellen, dass meine linke Hosentasche keine Tasche ist, sondern ein Eingang. (Kurze Pause)

���

��� X h�lt kurz inne, um zu lesen. Dann schreibt sie weiter, wie vom Inhalt erregt.

 

Junge Frau: Dann wirst du tun, was getan werden muss... im Tempo der Musik. Um der Diskretion willen werde ich einen langen Schal �ber meinen Scho� drapieren. Es sind noch einige Details zu kl�ren, darunter die Wahl der geeigneten Oper, aber das wird warten m�ssen, bis wir uns alle in der gleichen Stadt befinden. Aber jetzt muss ich dich bitten, diesen Brief unverz�glich zu vernichten. Er ist nur f�r dich bestimmt, und es w�re eine Katastrophe, wenn ihn ein anderer in die H�nde bek�me.

 

��� Der Archivar kommt ein weiteres Mal zur�ck.

Archivar: Fertig?

��� X steht frustriert auf, weil sie keine andere Wahl hat, w�hrend er die Dokumente einsammelt. Beide gemeinsam ab.

���

��� Beleuchtung wieder aus.

 

Ende der f�nften Szene

 

 

Sechste Szene

 

��� Beleuchtung an. Esstisch bei Fr�ulein X. X hat ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen und ihre Gef�hle unter Kontrolle. Ihre G�ste stochern h�flich in dem eher einfachen Essen herum. Adorno wird vom Wein �� beschwipst. Arendt raucht am Tisch, was Gretel st�rt.

��� Adorno schenkt sich erneut ein.

 

Gretel: Teddie, meinst du nicht, dass du genug gehabt hast?

Adorno: Bei weitem nicht. (Zu X) Sie haben also die Aktentasche?

Gretel: (hektisch den Rauch wegwedelnd) Frau Dr. Arendt, bitte!

Arendt: Tut mir leid, aber ich brauche das zur Einstimmung auf das, was uns erwartet.

Adorno: Sie meinen den Koffer, die Aktentasche, die Reisetasche...

X: (legt Gretel auf) Den verschwundenen Inhalt der schwarzen Tasche. Das ist es doch, was alle Welt so brennend interessiert, nicht?

Arendt: (unterbricht) Sie war also schwarz! Genau das sagte mir Lisa Fittko, die Benjamin �ber die Pyren�en gef�hrt hatte.

X: Was hat man Ihnen noch erz�hlt?

Arendt: Dass es das wichtigste Manuskript seines Lebens war und dass die Tasche sehr schwer gewesen sei.

X: Bei seinem Herzleiden muss ihm auf dem strapazi�sen Marsch durch die Berge bestimmt alles schwer vorgekommen sein.

Arendt: Eine schwere Tasche deutet auf ein dickes Manuskript oder auf B�cher hin. (Ungehalten) Was befand sich denn nun darin?

Adorno: Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele verschiedene Hypothesen diesbez�glich bereits aufgestellt wurden?

X: Und sogar ver�ffentlicht wurden! Ich habe die meisten gelesen.

Adorno: Also heraus damit.

X: (l�chelnd) Seien Sie nachsichtig mit mir... Sie alle... Sie m�ssen Geduld haben und mich auf meine Weise vorgehen lassen. (Zu Adorno) Beginnen wir mit Ihnen, Herr Adorno. Oder muss es noch immer Herr Professor hei�en? Was befand sich, Ihrer Meinung nach, in der Tasche?

Adorno: Ich dachte immer, es sei das "Passagen-Werk". Wenn man alle seine Notizen, Entw�rfe, Belegstellen ber�cksichtigt... dann k�nnte das, trotz Walters miskroskopisch kleiner Handschrift, eine Tasche ziemlich schwer machen... ganz zu schweigen von der schweren Lekt�re, die damit verbunden w�re.

X: (lachend) Sie m�ssen es ja am besten wissen, aber warum sollte er das alles �ber die Pyren�en schleppen? Hinterlie� er nicht das Meiste bei seinem Freund Georges Bataille in der Biblioth�que Nationale in Paris? Und hat dieses Material nicht den Krieg �berdauert?

Adorno: So ist es, sonst h�tten wir es nicht Jahrzehnte sp�ter ver�ffentlichen k�nnen. Ich wei� von drei Koffern voller Unterlagen, darunter der Angelus Novus, das herrliche Gem�lde von Paul Klee, das Benjamins wertvollster Besitz war.

X: Warum vermuten Sie dann, dass seine Aktentasche weitere Fragmente des Passagen-Werkes enthielt?

Adorno: Tja... (Pause) Viele halten es f�r sein wichtigstes Werk... und zweifellos f�r sein gewichtigstes Buch.

X: (ironisch) Was den Umfang oder die Bedeutung betrifft? Seien wir ehrlich. In vielerlei Hinsicht ist das Passagen-Werk unlesbar, da es kein Buch im herk�mmlichen Sinne ist. Sogar die Herausgeber nannten es "einen Torso, ein monumentales Fragment".

Arendt: Es war also nicht das Passagen-Werk. Dann vielleicht sein anderes unvollendetes Werk... das �ber Baudelaire?

X: Gar nicht so abwegig. Aber nein, in dieser Aktentasche befand sich kein Baudelaire-Manuskript, nicht einmal "Das Paris des Second Empire bei Baudelaire".

Gretel: Dann vielleicht �ber den Begriff der Geschichte?

X: Plausibel... aber nein.

Arendt: Was ist mit den anderen Essays... zum Beispiel dem �ber das Kunstwerk?

X: Der war bereits vor seinem Tod auf Franz�sisch erschienen.

Arendt: Das ist uns allen bekannt. Aber war er abgeschlossen? Was ist mit dem Theater? Benjamin befasste sich so gut wie gar nicht mit dem Status der Theaterarbeit hinsichtlich ihrer Reproduzierbarkeit - in Form von mehrfachen Auff�hrungen, Wiederaufnahmen, Bearbeitungen oder auch Wechseln in der Sprache aufgrund von �bersetzungen. Ganz zu schweigen davon, was Schauspieler aus einem St�ck machen, wann immer sie es durch ihre Darstellung reproduzieren.

X: Jetzt kommen Sie der Sache schon n�her! Aber Sie vergessen, dass die Aktentasche schwer war! Dieses Manuskript, insbesondere falls es noch unvollendet war, wie Sie meinen, h�tte leicht sein m�ssen.

Adorno: Spannen Sie uns nicht l�nger auf die Folter.

X: Noch ein Tipp. Sie wissen, dass Benjamin in einer Hinsicht viel von intellektueller Diversifizierung hielt.

Adorno: Wollen Sie andeuten, dass es ihm nicht darum ging, etwas zu retten?

X: (am�siert) Vielleicht.

Adorno: Dass er es mitnahm, weil andere es nicht sehen sollten?

X: (am�siert) Sie wissen ja, was mit seinem Adressbuch geschah, das er zur�ckgelassen hatte. Selbst das, so klein es auch war, wurde inzwischen ver�ffentlicht!

Adorno: Ich muss leider zugeben, dass ich nicht widerstehen konnte, es mir anzusehen. Was nur beweist, wie verbreitet Voyeurismus ist... sogar unter seinen besten Freunden.

X: Sogar? Ich k�nnte mir vorstellen, dass diese Art von Voyeurismus unter seinen Freunden besonders stark ausgepr�gt ist. Aber Sie, als einer davon, waren gewiss entt�uscht. Statt einschl�giger Adressen entdeckt man nur, was f�r ein Schnorrer er geworden war: Hilfsorganisationen, Verlage... die h�ufig nicht einmal antworteten, geschweige denn, seine Arbeiten ver�ffentlichten...

Adorno: So schlimm war es nicht. Es standen auch Freunde darin, Geliebte... sogar seine fr�here Frau Dora.

Arendt: (zu X) Sie haben vorhin praktisch einger�umt, dass die Aktentasche nichts enthielt, das sich aufzubewahren lohnte... sondern etwas, das nicht entdeckt werden sollte.

X: Und das Motiv?

Gretel: Scham? Weil es ihm peinlich gewesen w�re?

X: Wie scharfsichtig! Wenn er tats�chlich etwas Wertvolles h�tte retten wollen, dann h�tte er den Angelus Novus mitgenommen. Aber er lie� ihn zur�ck... das wertvollste Blatt Papier, das er besa�. Wenn er das Bild verkauft h�tte, h�tte er von dem Erl�s mehrere Jahre leben k�nnen. Warum sollte er dann eine Mappe voll beschriebener Bl�tter bei sich haben? Gehen wir f�r einen Moment davon aus, dass er w�hrend jenes letzten Jahres in Paris mit dem Gedanken spielte, etwas v�llig anderes zu schreiben... etwas, das ihm in seinem neuen Leben n�tzlich sein konnte. Sie d�rfen nicht vergessen, dass er damals noch glaubte, zu Ihnen und Ihrem Mann nach New York fliehen zu k�nnen. Tats�chlich hatte er bereits zu recherchieren begonnen...

Adorno: (ungehalten) Wie lange soll das noch so weitergehen?

X: (Kurze Pause) Sagen Sie, was ist das pers�nlichste Thema, mit dem sich ein intelligenter Mann besch�ftigen w�rde?

Arendt: Die Erinnerung.

X: Eine interessante Antwort, aber nicht die richtige... (Zu Adorno) Was meinen Sie, Professor Adorno?

Adorno: Die Sexualit�t.

X: (lacht) Ich dachte mir, dass Sie das sagen w�rden... Porno-Adorno...

Adorno: Die Psychoanalyse ist die einzige kritische Disziplin, die ernsthaft die subjektiven Voraussetzungen objektiver Irrationalit�t erforscht. Und f�r mich ist die Sexualit�t dabei der Schl�ssel.

Arendt: Kommen wir der Sache jetzt n�her?

X: Benjamin hat faktisch nichts �ber das Thema Pornographie geschrieben, obwohl es ihn sein Leben lang besch�ftigt hat.

Adorno: Zuerst m�chte ich h�ren, wie Sie Pornographie definieren.

X: Wo soll ich anfangen? Pygophilie -

Arendt: Nie davon geh�rt.

X: "Pyge" kommt aus dem Griechischen... das Ges��.

Arendt: Pygophilie... Vorliebe f�r den Hintern?

Adorno: "In den Arsch kriechen" w�re das gebr�uchlichere Wort.

X: Pygophilie deckt beides ab. (Kurze Pause) Ich fahre fort: Agalmatophilie.

Adorno: Ich wei� nicht einmal, wie man das schreibt.

X: Es bezieht sich auf Statuen als sexuelle Objekte.

Arendt: Gro�er Gott!

Gretel: Es gab fr�her Statuen mit abnehmbaren Penissen, die als Dildos benutzt wurden.

��� Alle starren sie an, erstaunt dar�ber, dass sie das wei�.

X: Presbyophilie...

Arendt: (lachend) Vorliebe f�r Presbyterianer? Das ist ja wohl nichts Anst��iges.

Adorno: Vom Griechischen "presbos"... der alte Mann -

X: Auch bekannt als Gerontophilie... Vorliebe f�r alte M�nner. Und dann Koprophilie -

Adorno: Da h�rt es bei mir auf.

X: Das dachte ich mir, obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, dass Porno-Adorno gelegentlich der Koprolalie gefr�nt hat. Die riecht wenigstens nicht.

Adorno: Viele Leute m�gen F�kalsprache... sie geben es nur nicht zu. (Gretel und Hannah starren ihn verst�rt an) Mir gef�llt sie... in Ma�en... und am richtigen Ort.

Arendt: Das ist ja widerlich -

X: Nat�rlich ist es das... Aber angenommen, Sie w�rden mit einer Sammlung derartiger Dinge erwischt -

Arendt: Mit so etwas m�chte ich nicht einmal tot erwischt werden.

X: Sehen Sie? Benjamin auch nicht!

Arendt: Jetzt werden Sie beleidigend.

��� Sie steht auf.

Mein Walter w�rde niemals -

Adorno: Ihr Walter -

Arendt: (zu Adorno) Das k�nnen Sie nicht ertragen, stimmt's? Dass auch ein anderer - wie ich zu behaupten wage - ein besonderes Verh�ltnis zu Walter gehabt haben k�nnte...

Adorno: (h�hnisch) Etwas, das Sie mit Walter gemeinsam hatten, w�rde ich schwerlich als etwas Besonderes bezeichnen - oder bezeichnen Sie alle Ihre Beziehungen zu M�nnern so?

Arendt: Wollen Sie damit sagen, dass ich eine Schlampe bin?

Adorno: Wenn Sie sich angesprochen f�hlen...

Arendt: Ha! Mein Verh�ltnis zu Ihnen w�rde diese Mutma�ung jedenfalls L�gen strafen...

Gretel: (springt auf) Bitte, bitte, BITTE!

��� Alle verstummen und merken, dass Gretel aufgestanden ist, die Augen zugekniffen, die F�uste geballt.

Adorno: Gretel - setz dich...

X: Frau Adorno hat v�llig Recht - k�nnten wir uns jetzt wieder wie zivilisierte Menschen benehmen? Sie sind zum Abendessen hergekommen. Ich habe Sie nicht eingeladen, damit Sie miteinander streiten...

��� (Hannah nimmt langsam wieder Platz. Gretel ebenfalls. Adorno ist verlegen, wei� es aber zu kaschieren.

Adorno: Na sch�n, heraus mit der Sprache.

X: Ich w�rde es Ihnen gerne sagen. Ganz ehrlich. Aber ich muss gestehen, dass ich einen Hintergedanken habe...

Adorno: Bin ich der Einzige hier, der pl�tzlich bef�rchtet, in einen zweitklassigen Film geraten zu sein?

Arendt: Pst - lassen Sie sie ausreden...

X: Wie ich Ihnen am Telefon bereits sagte, Frau Arendt, muss ich Sie um einen Gefallen bitten...

Adorno: Aber warum sollten wir -

X: Als Gegenleistung f�r das, was ich f�r Sie tun werde, indem ich Ihnen die Aktentasche zeige...

Adorno: F�r mich klingt das nach Erpressung.

X: Ich muss darauf bestehen, dass Sie dieses Wort mir gegen�ber nie wieder benutzen.

Adorno: Wie w�rden Sie es denn nennen?

X: �berreden... nicht n�tigen.

Adorno: �berreden?

X: (unterbricht) Unter Kollegen, wenn nicht sogar unter Freunden. (Pause) Wie ich Dr. Arendt bereits sagte, schreibe ich f�r meine Dissertation ein Buch, in dem Walter Benjamin eine wichtige Rolle spielt. Sie sind seine Nachlassverwalter.

Adorno: Singular! Nicht Plural.

X: Sie beide sind anerkannterma�en die gr��ten Autorit�ten. Mit einem von Ihnen gemeinsam verfassten Vorwort k�nnten Sie die Ver�ffentlichung meines Buches garantieren und mir zu einer wissenschaftlichen Karriere verhelfen. F�r Sie w�re das eine Kleinigkeit.

Adorno: Ein Vorwort zu einem mysteri�sen Buch �ber Walter Benjamins letzte Tage von einer Amateurin -

X: Warum bezeichnen Sie mich als Amateurin? (L�chelt in sich hinein) Ich w�rde sagen, dass ich in mancher Hinsicht mehr wei� als Sie.

Adorno: Ach ja? Und wor�ber?

X: (ohne ihn zu beachten) Das Vorwort wird die Namen von Professor Arendt und Ihnen tragen.

Adorno: (versucht die Frage beil�ufig klingen zu lassen) In dieser Reihenfolge?

X: Ganz genau. Hannah Arendt und Theodor Adorno.

Adorno: Nicht umgekehrt... in alphabetischer Reihenfolge?

X: Auf keinen Fall.

Adorno: Und der Grund?

X: F�r alles, was ich von Ihnen verlange, habe ich meine Gr�nde.

Adorno: Was bringt Sie auf den Gedanken, Sie k�nnten in der Lage sein, Forderungen zu stellen?

X: Deshalb sind wir ja hier.

Arendt: (zu Adorno) Sie hat Recht. Wir sind wegen der Aktentasche hergekommen, nicht wegen eines lukullischen Mahls. Wir wollen gro�z�gig sein und ihr einen gewissen Verhandlungsspielraum einr�umen... jedenfalls vorl�ufig.

Adorno: (erregt) Was sie verlangt, ist illegal. Was hindert uns daran, die Polizei zu holen?

Arendt: Und was geben wir als Grund an? Dass uns jemand "�berreden" will, ein Vorwort zu einem Buch �ber ein Thema zu schreiben, von dem die Beamten keine Ahnung haben? Glauben Sie vielleicht, dass Polizisten �berhaupt wissen, wer Walter Benjamin war... oder, was das betrifft, wer Ihre Frau ist? Au�erdem gibt es keine finanziellen Forderungen.

X: Ganz genau.

Arendt: Ich w�rde gerne... einen Blick... auf das Manuskript werfen. (Zu X) Ich vermute, dass Sie es hier haben?

X: Nat�rlich. Ein sehr vern�nftiger Vorschlag, Frau Arendt. Jetzt verstehen Sie, warum Sie eingeladen wurden. Ich werde das Manuskript holen, und Sie k�nnen es studieren, w�hrend ich das Dessert zubereite.

���

��� Beleuchtung aus.

Ende der sechsten Szene

 

 

Siebte Szene

���

��� Eine junge Frau und ein Mann erscheinen. Hinter ihnen reicht Fr�ulein X Arendt das Manuskript, und Gretel hilft Fr�ulein X, den Tisch abzur�umen.

 

Junge Gretel: Mein Lieber, ich w�rde Weihnachten gerne mit dir verbringen, aber es ist unm�glich, Teddie w�rde mir das nie verzeihen. Ich sp�re, wie meine F�higkeit zu denken nachl�sst, und er wei� nicht, was ich durchmache. Du kennst ihn, du musst doch wissen, was er mir bedeutet. Jedes Wort, das ich sage, ist mit ihm verkn�pft, und wenn ich diese Verbindung verliere, werde ich nicht mehr existieren. Verzeih mir, aber was ich da schreibe, ist so verworren, dass ich nicht wei�, ob du dich darin zurechtfindest. In Liebe und von ganzem Herzen.

 

Walter: Stelle dir meine Freude vor, als ich heute Morgen endlich deinen Brief in H�nden hielt, den ich nat�rlich sofort erkannte. Er veranlasste mich, lange nachzudenken, �ber meine Vergangenheit wie auch �ber meine Zukunft. Wie du wei�t, ist mir meine Arbeit sehr teuer, und wird es immer sein, aber im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass es noch etwas anderes gibt, ein fremdes Land jenseits der akademischen Welt, wo mein Wissen l�ckenhaft ist und mein Sachverstand nichts z�hlt.

 

��� Die Adornos und Arendt sitzen am Esstisch. Arendt ist �ber ein Manuskript gebeugt. X ist nirgends zu sehen.

 

Adorno: Das ist doch l�cherlich.

Gretel: Einer Studentin zu helfen? Erz�hle mir nicht, dass du dar�ber erhaben bist... wo dich doch alle anhimmeln...

Adorno: Einer Studentin, die uns erpresst.

Gretel: Du wei�t doch gar nicht, wie ihr Manuskript ist - vielleicht ist es sensationell, im besten Sinne des Wortes.

Adorno: Oder im schlimmsten Sinne. Ich bin nur hier, weil ich die Aktentasche sehen will - und diese Person hindert mich daran. Das gef�llt mir nicht.

Gretel: Richtig. Die Aktentasche. (Pause) Ich muss dich etwas fragen, Teddie.

Adorno: Nur zu, Zeit genug haben wir ja, stimmt's?

Gretel: Etwas, das ich dich noch nie direkt gefragt habe.

Adorno: N�mlich?

Gretel: Bist du eifers�chtig?

Adorno: Im Allgemeinen... oder was dich betrifft?

Gretel: Nun... beides.

Adorno: Auf beruflichem Gebiet bin ich sehr eifers�chtig.

Gretel: Das ist uns beiden bekannt. Ich meine sonst.

Adorno: Was dich betrifft?

Gretel: Na ja... zum Beispiel.

Adorno: Nie.

Gretel: Gut. Und bei deinen anderen Frauen?

Adorno: Das kommt darauf an.

Gretel: K�nntest du das n�her erl�utern?

Adorno: Das k�nnte ich, aber das werde ich nicht.

Arendt: (w�hrend sie die Manuskriptseiten ordentlich aufeinander legt) Ich kann das nicht...

Adorno: Was?

Arendt: Das kann ich nicht unterschreiben. Schauen Sie es sich an. Das ist Schund und Schmutz.

Gretel: Was meinen Sie mit Schmutz?

Arendt: Manche Abschnitte k�nnte man sogar als pornographisch bezeichnen. Ich kann mich nicht dazu durchringen, ein Vorwort zu schreiben, das etwas Derartiges empfiehlt. Tut mir leid.

���

��� Adorno steht pl�tzlich auf und rei�t Hannah das Manuskript aus der Hand. Er �berfliegt es.

 

Arendt: Das Ganze ist... nichts weiter als... geschmacklos. Meine Reputation war in der Vergangenheit schon oft genug �berschattet. Aber diese obsessive Besch�ftigung mit Pornographie. Ich... ich kann das einfach nicht.

Adorno: (hebt ein Blatt hoch und an Arendt gewandt) Ich beginne zu verstehen, was Sie meinen...

��� Gretel beobachtet Teddie scharf.

Gretel: Was steht da?

Adorno: (greift zu einem anderen Blatt) Frag Frau Arendt, die mehr davon gelesen hat. Es scheint eine Art Schm�hschrift gegen Benjamins sexuelle Pr�ferenzen zu sein... ziemlich geschmacklos - ein Wort, das ich nie mit Walter in Verbindung bringen w�rde.

X: Das sagen ausgerechnet Sie...

���

��� X ist an der T�r erschienen. Sie hat ein Tablett mit dem Dessert in der Hand. Sie stellt es auf den Tisch. Jede Spur von aufgesetzter Freundlichkeit ist verschwunden. Sie betrachtet die anderen kalt.

 

X: Seit vier Jahren befasse ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit einem Aspekt des intellektuellen und pers�nlichen Lebens von Walter Benjamin, einem Aspekt, der noch weitgehend unerforscht ist... oder sagen wir ungekl�rt.

Adorno: Und der w�re?

X: Das, womit er sich in seinen beiden letzten Lebensjahren in Paris besch�ftigt hat... im Hinblick auf Briefe, Notizen, Entw�rfe und �hnliches... Material, das er bei seiner Flucht vor den Nazis bei sich gehabt haben k�nnte.

Adorno: Sie haben �ber Benjamin gearbeitet, ohne dass ich etwas davon wusste?

X: Wie Sie sehen (deutet auf das Manuskript), geht es in meiner Dissertation in erster Linie um Georges Bataille.

��� Adorno lacht h�hnisch.

X: Was ist daran so komisch?

Adorno: Georges Bataille, der Pornograph?

X: Eine weitere erstaunlich simplifizierende Charakterisierung aus Ihrem Munde.

Adorno: Wie soll ich ihn sonst nennen? Einen franz�sischen Philosophen? Diese Bezeichnung hat sogar er selbst zur�ckgewiesen.

X: Wie w�re es mit ein franz�sischer surrealer Erotiker von h�chstem literarischen Rang? (Teddie schnaubt ver�chtlich) Aber lassen wir das. Schlie�lich geht es hier um Walter Benjamin. Ich hatte mich an der Universit�t Mainz immatrikuliert... nicht weit von Frankfurt, sodass ich dort Ihre Vorlesungen besuchen konnte.

Adorno: Wirklich? Ich erinnere mich nicht -

X: In Ihren Vorlesungen sa�en Hunderte von Studenten. Warum sollte Ihnen da eine Frau auffallen, die sich meist ganz bewusst in eine der hintersten Reihen setzte? Es gen�gt wohl, wenn ich sage, dass ich bei meinen Recherchen �ber Walter Benjamin... das Thema des Buches, f�r das ich ein enthusiastisches Vorwort von Hannah Arendt und Theodor W. Adorno erwarte... dass ich bei diesen Recherchen auf einen kompletten einseitigen Briefwechsel gesto�en bin.

���

��� Sie nimmt ihr Notizbuch vom Tisch und beginnt daraus vorzulesen. Beleuchtung langsam aus. Ein Scheinwerfer geht an. Die junge Frau von vorher, die j�ngere Gretel, betritt die B�hne, stellt sich neben Gretel und beginnt zu sprechen:

 

J�ngere Gretel: Mein sehr lieber Walter, tausend Dank f�r deinen letzten Brief. Teddie hat sehr viel zu tun, sieht neue Dinge und findet keine Zeit zum Schreiben. Ich f�hle mich sehr einsam und abgeschnitten hier im gro�en Berlin ohne meine Freunde und ich sehne mich so danach, dich zu sehen. Wenn du mich ganz besonders gl�cklich machen willst, dann schicke mir bitte etwas von den pornographischen Texten, von denen du gesprochen hast. Ich habe das Gef�hl, dass ich dich mit anderen Augen sehe, als das bei anderen der Fall ist, aber dadurch schneidest du keineswegs schlechter ab, da ich ja trotzdem alles wei�, was sie tun, aber im Gegensatz zu ihnen schreckt es mich weder ab noch hindert es mich daran, andere Seiten von dir zu erkunden.

 

��� Beleuchtung wieder auf Esszimmer. X �berfliegt den Brief und schl�gt dann eine andere Seite auf.�

 

X: Nachdem die handelnden Personen somit eingef�hrt w�ren, m�chten Sie gewiss eine Antwort darauf h�ren.

���

��� Beleuchtung wieder aus und Scheinwerfer an. Ein Mann in den Vierzigern, den wir noch nicht kennen, tritt zu der j�ngeren Gretel ins Scheinwerferlicht. Es ist Benjamin.

 

Walter: Erinnerst du dich an die Seite aus dem Kamasutra, die ich dir geliehen habe? "Auch er entbl��te die Vorderseite seines K�rpers, und sie sp�rte sein nacktes Fleisch in sich, als er in sie eindrang. Einen Moment lang verharrte er regungslos in ihr, geschwellt und bebend. Dann, als er sich zu bewegen begann, in j�hem wehrlosen Orgasmus, stiegen neue seltsame Schauer in ihr auf, die sie durchrieselten. Wohingegen ihr Scho� weit und schlaff war, und schlaff, wie eine Seeanemone in der D�nung, nach mehr verlangte, danach verlangte, dass er wieder in sie eindrang und sie zur Erf�llung brachte. Sie klammerte sich in unbewusster Leidenschaft an ihn, und er glitt nie ganz aus ihr hinaus, und sie sp�rte, wie seine weiche Knospe sich in ihr regte und sonderbare Rhythmen sie durchfluteten mit sonderbaren rhythmischen, sich steigernden Bewegungen, die anschwollen und anschwollen, bis sie ihr ganzes Bewusstsein erf�llten, und dann wieder die uns�gliche Bewegung begann, die eigentlich keine Bewegung war, sondern nichts als st�ndig tiefer werdende Strudel von Empfindungen, die wirbelnd tiefer und tiefer ihr ganzes Gewebe und Bewusstsein durchdrangen, bis sie nur noch ein vollkommenes konzentrisches Wogen von Gef�hlen war und unbewusste unartikulierte Schreie aussto�end dalag."

 

��� Beleuchtung wieder auf Esszimmer.

 

Adorno: Woher wei� ich, dass das nicht reine Erfindung ist?

X: Weil Ihnen bekannt ist, dass einige von Walter Benjamins privatesten Unterlagen, die er in Paris zur�ckgelassen hatte, von der Gestapo beschlagnahmt wurden. Dieses Material landete auf Umwegen �ber Moskau in einem nur bedingt zug�nglichen staatlichen Archiv in Ostdeutschland.

Adorno: Zu dem Sie "Zugang" erhielten?

X: Richtig.

Adorno: Wie?

X: Das geht Sie nichts an.

Adorno: Zweifellos mit dubiosen Methoden.

��� Sie starrt ihn an, unterdr�ckt ihre Wut.

X: Sie sind unversch�mt.

Adorno: Wollen Sie sagen, dass sich in Benjamins Aktentasche noch mehr davon befindet?

X: Ganz genau.

Adorno: Wie gedenken Sie, mit diesen Informationen zu verfahren?

X: Das h�ngt einzig und allein von Professor Arendt und Ihnen ab. Sobald ich die Best�tigung erhalte, dass Sie beide sich prinzipiell einverstanden erkl�ren, meine bescheidene Forderung zu erf�llen, l�sst sich dar�ber diskutieren.

Adorno: (br�llt) Ich will jetzt sofort diese Tasche sehen!

X: Und wenn ich nein sage?

Adorno: Dann zwinge ich Sie, Farbe zu bekennen.

X: In diesem Fall werden wir ja sehen, wer blufft.

���

��� X dreht sich um und st�rmt hinaus, um die Aktentasche zu holen. Alle blicken ihr nach.

 

Ende der siebten Szene� -� Ende des ersten Aktes�

 

 

 

 

Zweiter Akt

 

Achte Szene

 

��� Die JUNGE FRAU, die wir nun als die J�NGERE GRETEL kennen, steht mit dem R�cken zum Publikum. Sie sieht B�cher durch und erstellt ein Inventar.

 

J�ngere Gretel: Mein teurer Walter.

�����

��� Walter tritt auf. Beide sehen sich einen Moment an.

 

Walter: Gretel, meine Teure, meine Felicitas, wer ist deine liebste literarische Pers�nlichkeit?

����� Pause.

J�ngere Gretel: Anwesende ausgenommen?

Walter: Keine Schmeicheleien.

J�ngere Gretel: In dem Fall w�rde ich sagen: Goethe.

Walter: Nein... nicht Goethe. Goethe ist ein zu �berm�chtiges Universalgenie. Beschr�nke dich auf jemanden, der eine rein literarische Pers�nlichkeit ist... nichts weiter.

J�ngere Gretel: Diese Einschr�nkung w�rde auch meinen Mann ausschlie�en.

Walter: Ihn w�rde ich aus mehreren Gr�nden ausschlie�en.

J�ngere Gretel: Da bleiben immer noch furchtbar viele Kandidaten. Im �brigen, wie definierst du "literarisch"? Und meinst du nur Deutsche?

Walter: Gute Frage. Ja, beschr�nken wir uns auf Deutsche... auf deutsche Juden.

J�ngere Gretel: Mein lieber und be�ngstigend hinterh�ltiger Walter. Ich glaube, du willst mich zu einer Wahl zwingen, die du bereits getroffen hast.

Walter: Ich w�rde dich nie zu etwas zwingen. Vergiss nicht, es geht um Verlocken... Verlocken und Zwingen sind miteinander unvereinbar. Sagen wir, es ist eine Orientierungshilfe.

J�ngere Gretel: Dann hilf mir weiter. Heinrich Heine -

Walter: Keine reinen Dichter... Konzentrieren wir uns auf j�dische deutsche literarische Pers�nlichkeiten, die nur Prosawerke geschrieben haben.

J�ngere Gretel: Da kann es nicht nur einen geben. Egal, auf welchem Gebiet.

Walter: Aber es gibt nur einen! Kafka!

J�ngere Gretel: (lacht) Franz Kafka? Wieso nicht? Und jetzt?

Walter: Was deutsche Prosa betrifft, war seine die reinste. Wie w�rdest du ihn beschreiben? Welchen Eindruck hast du von Kafka als Person?

J�ngere Gretel: Ich bin ihm nie begegnet.

Walter: Ich auch nicht. Aber wie stellst du ihn dir vor?

����� Sie denkt nach.

J�ngere Gretel: Depressiv... unsicher... immerzu ungl�cklich... ein faszinierender Gespr�chspartner... ein gleichsam heiliges Genie wie du -

Walter: Was ist mit seinem Verh�ltnis zu Frauen?

J�ngere Gretel: Keine Ahnung... wahrscheinlich verklemmt.

Walter: Was w�rdest du sagen, wenn ich dir verraten w�rde, dass er zwanghaft Bordelle aufgesucht hat?

J�ngere Gretel: Ich w�rde sagen, dass das durchaus mit unterdr�ckter Sexualit�t zu vereinbaren ist... sich aber nicht nur auf solche M�nner beschr�nkt.

Walter: Und wenn du erfahren w�rdest, dass er Pornographie gesammelt hat?

J�ngere Gretel: Ich m�sste wissen, welche verbotenen Grenzen dabei �berschritten wurden.

Walter: Du kannst es dir aussuchen.

J�ngere Gretel: Ich dachte, wir reden hier �ber Kafka. Was hat er denn gesammelt? Extrem unanst�ndige Ausdr�cke... Beschreibungen perverser Handlungen -

Walter: Haupts�chlich Abbildungen.

J�ngere Gretel: Aufreizende oder abartige?

Walter: Hm... diese W�rter habe ich dich noch nie benutzen h�ren. Wie w�rdest du den Unterschied definieren?

J�ngere Gretel: (fr�hlich) Aufreizend ist, wenn man es mit einer Feder macht... abartig wird es, wenn man das ganze Huhn nimmt.

Walter: Interessant. Ich glaube, wir haben ein v�llig neues Kapitel aufgeschlagen. Gretel, du �berraschst mich immer wieder aufs Neue. (Kurze Pause) Warum haben wir nicht geheiratet?

J�ngere Gretel: Walter... ich liebe Teddie... Und du bist nicht geschaffen f�r die Ehe... den ultimativen Vollzug. Teddie dagegen ist es. Du hast es einmal mit der Ehe versucht und bist gescheitert. Du bist der Meister des Vorspiels.

Walter: Ich beabsichtige, am 1. August abzureisen, das hei�t in zwei Monaten.

J�ngere Gretel: Wir k�nnen uns schreiben. Du wirst doch weiterhin schreiben, oder?

��� Er hat eine abgewetzte alte Aktentasche in die Hand genommen.

Walter: (l�chelnd) Du wirst also tun, worum ich dich gebeten habe, und meine Bibliothek durchsehen? Es gibt sonst keinen, dem ich diese sehr pers�nliche Aufgabe anvertrauen w�rde.

 

��� Beleuchtung auf Walter langsam aus und an auf Gretel.

 

J�ngere Gretel: Walter, Liebster.

 

��� Er bleibt stehen, mit dem R�cken zu ihr, als w�re er bereits auf dem Weg in eine andere Welt.

 

J�ngere Gretel: Du musst Europa verlassen, bevor es zu sp�t ist. Versprich es mir! Versprich mir, dass du gehst! Wir k�nnen dir helfen...

Walter: Ich werde dar�ber nachdenken.

J�ngere Gretel: Nein! Du musst es versprechen.

Walter: Ich werde dar�ber nachdenken.

 

��� Sie geht ab. Beleuchtung langsam aus. Walter ist allein auf der B�hne.

��� Dunkelheit.

Ende der achten Szene

 

 

Neunte Szene

���

��� Gegenwart. Beleuchtung auf Esszimmer von X. Teddie geht auf und ab. Hannah raucht, verkneift sich ein selbstgef�lliges L�cheln.

 

Adorno: Gretel.

Gretel: Ja.

Adorno: Wir m�ssen reden.

����� Sie bleibt stehen.

Gretel: Du meinst, �ber Walter?

Adorno: �ber Walter und �ber dich.

����� Pause. Er setzt sich.

Gretel: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, Teddie.

Adorno: Warum nicht? Ich verheimliche dir nie etwas, oder?

Gretel: Das kann man nie wissen, stimmt�s? Aber vermutlich nicht.

Adorno: Na gut. Erz�hle mir von den Briefen.

Gretel: Wir haben uns von Zeit zu Zeit geschrieben.

Adorno: Ich m�chte sie sehen.

Gretel: Teddie!

Adorno: Warum willst du sie mir nicht zeigen? Ist diese Bitte so verwunderlich? Du liest schlie�lich alle meine Briefe. Hast du einige dieser Briefe aufbewahrt?

����� Hannah h�stelt. Teddie f�hrt herum.

Adorno: M�chten Sie etwas dazu sagen?

Arendt: Nein... nein... nur dass Heidegger und ich nie wollten, dass andere erfahren, was zwischen uns ist.

Adorno: (sarkastisch) Dennoch ist Ihre fr�here Aff�re allgemein bekannt.

Arendt: So ist es. (Z�ndet sich eine Zigarette an und beginnt zu rauchen.) Mit dieser Tatsache habe ich mich irgendwann abgefunden... und das sollten Sie auch.

Adorno: Ich habe genug von Ihnen! Ich schlage vor, Sie stecken sich zwei Zigaretten an und paffen beide gleichzeitig. Bringen Sie sich ruhig um, aber bitte schweigend.

Gretel: Ich habe keine Ahnung, wie sie an die Briefe gekommen ist.

Adorno: Denk genau nach, Gretel. Sind dir welche abhanden gekommen? In denen Dinge stehen, die andere nicht lesen sollen?

 

����� Er holt eine Kopie eines Briefes von Gretel heraus. Er liest:

 

"Walter, mein liebster Walter, dieser Aufforderung konnte ich unm�glich widerstehen. Ich habe schon angefangen, und du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Ausreden ich f�r Teddie erfinden musste... und f�r andere... sogar f�r meine Eltern... um meine pl�tzliche h�ufige Abwesenheit zu erkl�ren, denn niemand wei�, was ich da mache. Aber wenn ich die B�cher zusammentrage, um die du gebeten hast... wenn ich sie nur in den H�nden halte... habe ich das Gef�hl, in Wahrheit dich zu ber�hren."

����� Gretel schweigt.

Gretel: Das war, als er in Paris war... vor langer Zeit.

Adorno: Offenkundig.

Gretel: Woher hast du diesen Brief?

Adorno: Den hat sie mir gegeben. Als Verhandlungsbasis, wie sie sagte.

Gretel: Ich m�chte nach Hause.

Arendt: Unter den gegebenen Umstanden halte ich das nicht f�r klug.

Adorno: (zu Hannah) W�re es wohl... zu viel verlangt... Sie zu bitten, sich nicht st�ndig einzumischen?

Arendt: Ich konstatiere nur, was offensichtlich ist. Sie hat uns in der Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger (presst die Finger zusammen). Ich glaube nicht, dass sie bereit ist, uns einfach so gehen zu lassen. Es wird nicht gen�gen, sich f�r das Abendessen zu bedanken und ihr eine Topfpflanze zu schicken... zumindest glaube ich das nicht. F�r Sie ist es gewiss sehr unangenehm, Herr Professor, ausnahmsweise einmal im Nachteil zu sein.

����� Teddie funkelt Hannah w�tend an.

Gretel: Er bat mich, ein Inventar seiner B�cher zu erstellen, da er nicht mehr nach Berlin zur�ckkehren konnte. Sein Bruder war bereits von der Gestapo verhaftet worden.

Adorno: Und die Sache mit dem Duzen... dieser intime Ton... nur Wochen, nachdem du ihn kennengelernt hattest?

Gretel: (unterbricht) Nicht nach Wochen -

Adorno: Na sch�n... nach Monaten -

Gretel: (unterbricht) Nicht nach Monaten -

Adorno: Nach Jahren?

Gretel: Singular.

Adorno: Nach einem Jahr?

Gretel: Nach einer Woche.

����� Hannah gluckst.

Adorno: (zu Hannah) Halten Sie endlich den Mund!

����� Hannah t�uscht Ernsthaftigkeit vor.

Adorno: (zu Gretel, emp�rt) Schon nach einer Woche? Innerhalb von sieben Tagen von "Herr Doktor Benjamin" zu "Walter"? Und zu beginnen mit "Walter Komma mein liebster Walter" ist etwas v�llig anderes als "Mein liebster Walter" ohne das Komma und einen weiteren Walter.

Gretel: Streiten wir jetzt �ber die Anzahl von Walters und die Kommasetzung?

Adorno: Es geht nicht nur um das Komma, sondern um die Nuance!

Gretel: Das war ganz spontan... eine zwanglose Geste.

Adorno: Wenn eine erwachsene Frau einen erwachsenen Mann innerhalb von einer Woche duzt, dann ist das nicht zwanglos. Das war es fr�her nicht, und das ist es auch heute nicht.

Gretel: Was f�r ein Motiv w�rdest du denn unterstellen?

Adorno: Ein postkoitales!

Gretel: Teddie! Du bist ja eifers�chtig!

Adorno: Wir sprechen hier �ber dein Verhalten... nicht �ber meine Eifersucht.

Gretel: Dann erkl�re mir doch mal, wie ein postkoitaler Vollzug zwischen Walter und mir rein technisch m�glich gewesen w�re, w�hrend er in Paris war und ich in Berlin?

Adorno: Du beschr�nkst dich auf einen geographischen Koitus.

Gretel: Begeben wir uns jetzt auf das Gebiet der koitalen Dialektik?

Adorno: Hier geht es nicht um Dialektik... nur eine schlichte Befragung. Ein geistiger Koitus ist per definitionem nun einmal intimer als ein k�rperlicher.

Gretel: Wahrscheinlich.

Adorno: Mehr hast du dazu nicht zu sagen?

Gretel: Was sollte ich dem hinzuf�gen?

Adorno: Nun, wenn wir �ber deinen Wechsel vom h�flichen "Sie" zum pl�tzlich intimen "Du" diskutieren wollen, dann solltest du mir doch wohl etwas �ber das Vorspiel erz�hlen, dessen sich Walter bediente.

Gretel: Das wird jetzt zu pers�nlich.

Adorno: Walters Vorspiel ist zu pers�nlich f�r ein pers�nliches Gespr�ch zwischen Mann und Frau? Ein siebent�giges Vorspiel ist zu pers�nlich f�r eine jahrelange Ehe?

Gretel: Ja.

Adorno: Ja?

Gretel: Ja.

Adorno: Ich bin erstaunt. Nein! Nicht erstaunt... schockiert... verletzt... und - verdammt nochmal - stinkw�tend.

Gretel: Was f�r eine Lawine von Adjektiven!

Adorno: Beantworte einfach meine Frage. (Sie blickt zur Seite, ohne zu antworten.) Komm schon, Gretel, heraus damit.

����� Pause.

Gretel: Walter bat mich, seine Bibliothek durchzusehen.

Adorno: Das sagtest du bereits.

Gretel: Du wolltest doch N�heres �ber das Vorspiel h�ren, wie du es nennst. So hat es angefangen.

Adorno: In seiner Bibliothek?

Gretel: Ja.

����� Pause.

Adorno: In einer Bibliothek. Verstehe.

Gretel: Er wollte wissen, welche B�cher er zur�cklassen konnte und welche ihm nachgeschickt werden sollten.

Adorno: Das kann keine leichte Aufgabe gewesen sein. Schlie�lich war er ein zwanghafter B�chersammler.

Gretel: Stimmt. Aber ich wollte ihm helfen, und au�erdem war ich neugierig.

Adorno: Sprich weiter.

Gretel: Bei meinem zweiten Besuch entdeckte ich, dass er eine doppelte Bibliothek hatte.

Adorno: Das hei�t?

Gretel: Auf vielen Regalen befand sich hinter den B�cherreihen eine zweite Reihe.

Adorno: Na und? Das machen wir doch st�ndig. Wahre Leser oder Bibliophile haben fast nie gen�gend Platz auf ihren Regalen.

Gretel: Das hatte nichts mit Platzmangel zu tun.

����� Schweigen.

Adorno: Worauf willst du hinaus, Gretel?

����� Pause.

Adorno: Nun?

Gretel: Was "nun"?

Adorno: Du hast also B�cher hinter den B�chern entdeckt. Das war alles? Das ganze Vorspiel?

Gretel: Das war der Anfang. Die B�cher hinter der vorderen B�cherreihe eines einzigen Regals...

����� Kurze Pause.

Adorno: Verstehe. Das Vorspiel zum Vorspiel?

Gretel: Genau (kurze Pause), aber das wusste ich damals noch nicht.

����� Pause.

Adorno: Ich verstehe.

Gretel: Vielleicht.

Adorno: O doch.

����� Sie verstummt.

Adorno: Du brauchst kein solches Geheimnis darum zu machen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was zwischen euch vor sich ging.

����� Sie schweigt weiter, was ihn nur noch mehr frustriert.

Adorno: Schau mich nicht so an. Es gibt nichts, rein gar nichts, womit du mich �berraschen k�nntest. Egal, welchen Phantasien du und Walter euch hingegeben haben m�gt, es ist nichts, was ich nicht schon geh�rt oder selbst getan h�tte.

Gretel: Tats�chlich? Dann verrate mir mal, was Doraphilie ist.

Adorno: Ach... er schrieb �ber seine Liebe zu Dora? Wenn man bedenkt, wie ihre Ehe endete, w�re das nicht uninteressant. Kannst du mir mehr dar�ber sagen?

Gretel: Doraphilie ist eine Obsession in Bezug auf Leder. Insbesondere auf schwarzes Leder.

Adorno: Tr�gst du deshalb seit Neuestem -

Gretel: Ich k�nnte es bestreiten, aber das werde ich nicht.

Adorno: Und das hast du hinter der B�cherreihe entdeckt?

Gretel: Nur in der ersten Reihe.

Adorno: Na gut. Dann interessierte er sich also f�r Erotika, nat�rlich nur intellektuell und nicht k�rperlich. Aber f�r dich war die sexuelle Vorstellung ja schon immer erregender als die k�rperliche Durchf�hrung. Darum hat es dir auch nie etwas ausgemacht, wenn ich dir von anderen Frauen erz�hlt habe.

Gretel: Ich habe dich nie daran gehindert, zu tun, was du tun wolltest, Teddie.

Adorno: Au�er mit dir.

����� Kurze Pause.

Adorno: Dieses Fr�ulein Felicitas behauptet, auch Kopien anderer Briefe zu haben, die du geschrieben hast.

Gretel: Wie ist sie an die gekommen?

Adorno: (zuckt die Schultern, dann) Ich nehme an, dass diese Briefe... �hnliches enthalten?

Gretel: Das werden sie wohl.

Adorno: Sonst nichts? Nichts, von dem du mir nichts erz�hlt hast? Wir wollten doch nie Geheimnisse voreinander haben. Aber nun stelle fest, dass du doch Geheimnisse vor mir gehabt hast.

Gretel: Und was ist mit Felicitas selbst?

Adorno: Wie kann ich sie dir verheimlicht haben? Ich konnte mich ja nicht einmal an sie erinnern!

Gretel: Wie praktisch.

Adorno: Das alles passt doch nicht zu uns. Da siehst du mal, was uns diese Person bereits antut. Und nur, weil sie ihr albernes kleines Buch ver�ffentlichen will.

Gretel: Woher wei�t du, dass es albern ist? Woher wei�t du, dass es nicht voll erstaunlicher Enth�llungen ist?

Adorno: Und? Ist es so?

Gretel: Woher soll ich das wissen, Teddie?

Adorno: Wenn dem so w�re, w�rde ich ziemlich dumm dastehen, was? Ich, der weltweit f�hrende Gelehrte, was Walter Benjamin betrifft, und auch der Besch�tzer seines Rufes.

Gretel: Ist es das, wovor du Angst hast?

Adorno: Offen gesagt, ja. Das ist meine Arbeit... mein Leben, Gretel. Ich kann es mir nicht leisten, es von dieser Person... wer immer sie auch sein mag... besudeln zu lassen. (Kurze Pause.) Aber du. Du hast vor etwas anderem Angst, stimmt's? (Kurze Pause.) Du solltest es mir lieber sagen, Gretel, wenn ich dir helfen soll.

����� Pause.

Gretel: Ich habe Walter einige Brief geschrieben, die nie und nimmer ver�ffentlicht werden d�rfen.

����� Schweigen.

����� Teddie dreht sich pl�tzlich um und geht zur T�r.

Gretel: Teddie? Teddie, wo willst du hin?

Adorno: Ich brauche frische Luft.

Gretel: Aber du hast keinen Mantel an!

Adorno: Ist mir doch egal!

 

��� Er geht ab. Man h�rt, wie eine T�r zugeknallt wird. Gretel schaut hin�ber zu Hannah, die sich langsam umdreht und ihren Blick erwidert.

��� Beleuchtung aus.

 

Ende der neunten Szene

 

 

Zehnte Szene

 

��� Hannah und Gretel allein im Esszimmer.

 

Hannah: Sie wussten es? Wie haben Sie es herausgefunden?

Gretel: Zun�chst einmal durch den Brief. "Mit freundlichen Gr��en, Felicitas." So nannte mich Walter in seinen Briefen. Vermutlich hat sie diesen Namen gew�hlt, damit ich ihren Brief auch bestimmt zur Kenntnis nehme. Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Briefe ich von Frauen erhalte, die behaupten, als Studentin Teddies Geliebte gewesen zu sein.

Hannah: Ich kann es mir vorstellen.

Gretel: Das bezweifle ich.

����� Hannah z�ndet sich eine Zigarette an.

Gretel: Das Merkw�rdige ist, dass ich von den meisten dieser Frauen wusste. Teddie hatte keine Geheimnisse vor mir, ganz im Gegenteil. Gelegentlich sprach er geradezu zwanghaft �ber alle Einzelheiten seiner au�erehelichen Beziehungen.

Hannah: Das kann nicht leicht f�r Sie gewesen sein.

Gretel: Es war mir lieber, Bescheid zu wissen, als im Unklaren zu sein. Aber Sie haben Recht, ich kann nicht vorgeben, dass es mir leicht gefallen ist.

Hannah: Und was war das Merkw�rdige? Die Tatsache, dass Sie von dieser Frau nichts wussten?

Gretel: Die Tatsache, dass er sich nicht an sie erinnern konnte. Nicht an das Geringste. Das passt nicht zu ihm.

����� Hannah denkt dar�ber nach, w�hrend sie raucht.

Sie hat die meisten meiner Briefe an Walter gesehen. Und jetzt will sie die fehlenden Puzzleteile.

Hannah: Ja... seine Briefe an Sie. F�r ihr Buch.

Gretel: Ich will nicht, dass sie die sieht.

Hannah: Dann lehnen Sie ab.

Gretel: Mehr noch: Ich m�chte nicht, dass dieses Buch von ihr ver�ffentlicht wird. Es geht um mein Privatleben... meine intimste Vergangenheit... und sie will darin herumstochern, um ihre selbsts�chtigen Karriereziele zu verfolgen.

Hannah: Hm.

Gretel: Sie hat kein Recht dazu.

Hannah: Ich wei� nicht, wie wir sie aufhalten k�nnen. In dem Buch geht es um Walter, nicht um Sie. Vielleicht k�nnten wir ihr drohen, sie wegen Verleumdung zu verklagen, wegen �bler Nachrede oder �hnlichem - aber ich habe den Verdacht, dass sie das Buch trotzdem ver�ffentlichen w�rde, wenn es ihr so viel bedeutet. Und wenn wir dieser Person nicht irgendwie entgegenkommen, wird sie Walter und Sie vermutlich noch mehr diffamieren, als sie ohnehin geplant hatte, und zwar aus purer Bosheit. Aber wenn wir sie �berreden k�nnten, gewisse Dinge in der endg�ltigen Fassung auszulassen... dann k�nnte es funktionieren.

Gretel: Sie m�ssen mir helfen.

Hannah: Und wo sind diese Briefe?

Gretel: Ich habe sie mitgebracht. (Gretel holt ein P�ckchen Briefe aus ihrer gro�en Handtasche.) Ich habe kaum noch die Kraft, den guten Ruf meines Mannes zu sch�tzen.

Hannah: Dazu ist in der Tat sehr viel Kraft erforderlich.

Gretel: Es geht mir nicht um den Schmutz. (Z�gert) H�ren Sie. Was ich Ihnen jetzt sage, wird Sie hoffentlich nicht v�llig �berraschen. Ich kenne Sie ja kaum. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich Sie mag... jedenfalls noch nicht, in Anbetracht dessen, was in der Vergangenheit zwischen Ihnen und Teddie war. Aber meine Intuition sagt mir, dass ich Ihnen vertrauen kann. Und vermutlich ist das die zuverl�ssigste Form von Vertrauen, da sie unbeeinflusst ist von Zuneigung oder Freundschaft. Und ich wei�, dass Sie Walter auf Ihre Art ebenfalls geliebt haben und nicht zulassen werden, dass ihm Schaden zugef�gt wird.

Hannah: Sprechen Sie weiter.

Gretel: Ich wollte mich aus dieser Sache heraushalten.

Hannah: Sie meinen wegen Walter.

Gretel: Weil es Teddie verletzen w�rde. Walters Briefe an mich w�rden ihn mehr verletzen, als er je zugeben w�rde. Ich wei�, das ist paradox, oder?

Hannah: Ja, Sex im Geiste. Der ist komplizierter und dauert l�nger als der fleischliche.

Gretel: Ich habe den �berblick verloren, mit wie vielen Frauen Teddie geschlafen hat. (Z�gert) Ich wei� nicht, warum ich Ihnen das erz�hle... Eines Nachts, als wir �ber Sex diskutierten, was wir zu der Zeit h�ufig taten, beschuldigte er mich, faktisch z�libat�r zu sein. Das habe ich noch keinem Menschen erz�hlt. Das war einer der wenigen Momente, in denen ich die Beherrschung verlor und ihm sagte, dass er sich nur auf Quantit�t und K�rperlichkeit konzentriere. Die mathematische Vorgehensweise. Aber was mit geistigem Ehebruch sei oder sogar mit Promiskuit�t seitens einer faktisch z�libat�ren Person? Wir haben nie wieder dar�ber gesprochen. (Z�gert) Ich liebte beide aufrichtig. Teddie und Walter. Tun Sie, was Sie f�r das Beste halten, aber lassen Sie bitte die beiden M�nner aus dem Spiel.

Hannah: Ich werde tun, was ich kann. D�rfte ich jetzt die Briefe haben? Sie k�nnten meine Verhandlungsposition st�rken.

Gretel: (nickt) Ich glaube nicht, dass Sie falschen Gebrauch davon machen werden.

����� Gretel gibt ihr die Briefe.

Hannah: Ich werde der ungeheuren Versuchung, sie zu lesen, widerstehen. Sie hatten Recht, Ihrer Intuition zu vertrauen.

Gretel: Danke.

����� Gretel umarmt Hannah kurz. Lange Pause.

Gretel: Und noch etwas sollten Sie wissen. Walter schrieb mir tats�chlich, dass ich ihm einige seiner Briefe zur�ckschicken solle, die er in sein letztes Werk aufzunehmen gedachte. Er versprach, es mir zu widmen. Darum habe ich sie zur�ckgeschickt.

Hannah: Hei�t das, dass diese Frau tats�chlich gewisse Briefe von Walter in den ostdeutschen Archiven gesehen haben k�nnte?

Gretel: Das bezweifle ich. Ich glaube, dass diese Briefe in der Aktentasche waren, die er in den Pyren�en bei sich hatte und die verschwunden ist.

Hannah: F�r Sie w�re das wohl der richtige Moment... f�r ein Weilchen zu verschwinden.

����� Gretel nickt.

Gretel: Dann gehe ich jetzt eine Zeitlang weg.

Hannah: Danke. Geben Sie mir etwa eine Stunde. Wenn Ihr Mann zur�ckkommt, sage ich ihm, dass Sie ebenfalls hinausgest�rmt sind. (Sie l�chelt.) Das sollte ihn vor Schreck in eine nachgiebigere Gem�tsverfassung versetzen. Ich werde das Fenster �ffnen und Ihnen ein Zeichen geben, wenn Sie zur�ckkommen k�nnen. Machen Sie einen Spaziergang im Park oder gehen Sie in das nette kleine Caf� gleich um die Ecke.

Gretel: Einverstanden.

Hannah: Und Gretel...

Gretel: Ja?

Hannah: Nehmen Sie meinen Mantel. Es ist kalt drau�en.

����� Gretel l�chelt.

����� Beleuchtung aus.

Ende der zehnten Szene

 

 

Elfte Szene

 

��� Esszimmer von X. Hannah sitzt und raucht nachdenklich. X erscheint mit einer Aktentasche an der T�r. Die Tasche ist alt und abgewetzt.

 

��� Hannah blickt auf, sieht die Aktentasche und st��t langsam eine Rauchwolke aus.

 

Arendt: Ist sie das?

X: Wo sind die anderen?

Arendt: Kann ich sie mal sehen?

X: Nein. Wo ist Professor Adorno?

Arendt: Er ist bald zur�ck. Er musste einen Spaziergang machen.

X: Und seine Frau?

Arendt: Musste ebenfalls einen Spaziergang machen. Wegen der Verdauung, wenn Sie verstehen.

X: Dann sind also beide gegangen?

Arendt: Ja, aber nicht zusammen.

����� X l�sst sich auf einen Stuhl sinken.

Arendt: Ich glaube, ein Digestif k�nnte nicht schaden.

X: Ich habe nichts da.

Arendt: Schade. Ich k�nnte jetzt wirklich einen Scotch vertragen.

����� Sie streicht �ber die Aktentasche.

X: Ich werde nie etwas haben.

Arendt: Das scheint mir eine allzu umfassende Behauptung zu sein.

X: Wissen Sie, wie lange ich an diesem Buch gearbeitet habe, das Sie so summarisch abqualifizieren?

Arendt: Sehen Sie - darum brauchen wir einen Scotch.

X: Wahrscheinlich ist es sowieso egal. Leute wie Sie...

Arendt: Leute wie ich?

X: Und er.

Arendt: Adorno? Nun, ich gebe zu, R�cksicht auf andere zu nehmen, geh�rt nicht zu seinen St�rken...

X: Er hatte die Macht, mein Leben auf einen Schlag zu ver�ndern.

Arendt: Aber warum fangen Sie dann bei mir an?

X: Ihre gegenseitige Abneigung ist in akademischen Kreisen hinl�nglich bekannt.

Arendt: Das l�sst sich nicht bestreiten.

X: Ich dachte, es w�rde Sie interessieren, auf was ich bei meinen Recherchen zu Benjamin gesto�en bin. N�mlich auf eine literarische Fundgrube, die so sensationell ist, dass sie selbst die versiertesten Benjaminologen verbl�ffen wird.

Arendt: Es gibt noch gen�gend andere Bewunderer Benjamins.

X: Stimmt, aber Sie und Professor Adorno f�hren diese Liste an... und nicht nur als Bewunderer. Sie beide waren entscheidend an seiner Kanonisierung beteiligt. In etwa vergleichbar mit der Beziehung zwischen Kafka und Max Brod. Wie Sie wissen, schrieb Kafka - auch er ein Produkt posthumer Kanonisierung - kurz vor seinem Tod an seinen Freund, dass alles, was er dereinst hinterlie�, in Form von Tageb�chern, Manuskripten, Briefen, Entw�rfen und so weiter, ungelesen verbrannt werden solle. Angenommen, ich sage Ihnen, dass Kafkas Briefe nicht verbrannt wurden. Sondern 1933 von der Gestapo konfisziert wurden.

Arendt: Ist das jetzt Ihre Erfindung oder l�sst sich das belegen?

X: Gehen wir um der Debatte willen einmal davon aus, dass es sich belegen l�sst... und auch davon, dass sich unter Kafkas unverbrannten Schriften sehr viel pornographisches Material befand.

Arendt: Ich glaube, inzwischen haben Sie die H�lfte meiner Zeit vergeudet... ich bin mir nur nicht sicher, welche H�lfte.

X: Und wenn ich Ihnen sagen w�rde, dass das auch auf Benjamin zutrifft und dass ich einen Teil dieses geheimen Briefwechsels gesehen habe?

Arendt: Hinter dieser vorget�uscht f�rmlichen Ausdrucksweise entdecke ich eine unb�ndige Wut. D�rfte ich wohl N�heres dar�ber erfahren?

X: Wieso nicht? Es k�nnte Sie veranlassen, den vollen Ernst meiner Bitte zu erkennen.

Arendt: Dann handelt es sich also wieder um eine Bitte statt um eine Forderung?

X: Ich bin bereit, dieses kleine Zugest�ndnis zu machen. H�ren Sie jetzt genau zu, wenn Sie wissen wollen, was meine Wut ausgel�st hat... Sie erinnern sich, dass ich Professor Adornos Vorlesungen besuchte.

����� Hannah nickt.

X: �ber ein Jahr lang sa� ich hinten und studierte ihn durch ein starkes Opernglas, studierte ihn so eingehend, wie es vermutlich nur wenige Studenten - ob Mann oder Frau - je taten. Und nun stellen Sie sich vor, wie eine Frau, die Theodor Adorno eine Stunde lang betrachtet, auf diesen verbalen Erotiker reagiert. Es waren seine gro�en Augen. Tiefe, riesige schwarze Augen, die das ganze Gesicht beherrschten... und Wimpern, die ich durch mein Opernglas z�hlen konnte. Wissen Sie, was ich einmal zu einem Kommilitonen sagte? "Adorno will einen st�ndig davon �berzeugen, wie unglaublich lebendig, wie profund, wie animierend, wie bedeutend seine Vorlesungen sind... und zwar jede einzelne, ohne Ausnahme. Danach k�nnen wir hingerissene Fans nur noch sagen: 'Mann, Adorno, gib's mir!'"

Arendt: Ich werde meine Phantasie spielen lassen...

X: Und nicht zu vergessen sein K�rper, der zwar bourgeois gerundet ist, aber eine enorme Beweglichkeit entfalten konnte, wenn er nach der Vorlesung mit den jungen Frauen sprach, die sich um das Podium dr�ngten.

Arendt: Zu denen gewiss auch Sie geh�rten?

X: Nach einigen Monaten sprach ich ihn nach der Vorlesung an, um zu fragen, ob er mir bei den Recherchen zu meiner Doktorarbeit behilflich sein k�nnte. Er sagte, ich solle mir einen Termin geben lassen. Aber als ich in sein B�ro kam, sah ich mich mit einer un�berwindlichen Barriere in Form seiner Frau konfrontiert, die entschied, wer ihn sehen durfte und wer nicht. Mich zeichnete offenbar eine bestimmte Neugier aus, die �ltere Frauen auf Anhieb erkennen. Also w�hlte ich einen direkteren Weg, da ich geh�rt hatte, dass er gegen die Reize von Studentinnen nicht immun war. In einer sp�teren Vorlesung verk�ndete er: "Neugier ist ein starker menschlicher Antrieb... nicht so stark wie der Sexualtrieb und die Habgier... aber wesentlich st�rker als der Altruismus."

Arendt: Das hat er gesagt? Ein interessanter Gedanke.

X: Vielleicht hat er ja einen anderen zitiert. (Arendt zieht bei dieser sarkastischen Bemerkung eine Augenbraue hoch.) Nach der Vorlesung wartete ich, bis das letzte Groupie verschwunden war, bevor ich mir die Bemerkung erlaubte, dass Neugier, meiner Meinung nach, nicht unterhalb des Sexualtriebs rangiert, sondern ein unerl�sslicher Bestandteil von ihm ist. Daraufhin zog er mich praktisch mit den Augen aus und fragte dann nach dem Beweis daf�r. Als ich sagte, das sei meine pers�nliche Erfahrung, meinte er, dass es sich lohnen w�rde, n�her auf dieses Thema einzugehen. Ich ging noch am gleichen Abend zu ihm, da ich annahm, dass er so viel Anstand besitzen w�rde, mit mir auch �ber mein Dissertationsthema zu sprechen und nicht nur... (Beendet den Satz nicht.)

Arendt: Ich nehme an, dass Sie freiwillig kamen.

X: So freiwillig wie die meisten seiner Frauen.

Arendt: Und das hat Sie gest�rt?

X: Zun�chst nicht... aber das �nderte sich einige Wochen sp�ter. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals so gedem�tigt gef�hlt zu haben.

Arendt: Warum gedem�tigt?

X: Weil er sich nicht mehr an mich erinnerte.

Arendt: Tja... wie oft hatten Sie sich getroffen?

X: Nur ein einziges Mal... sp�tabends.

Arendt: (versucht zu scherzen) Vielleicht war es f�r ihn zu dunkel, um Ihr Gesicht sp�ter wiederzuerkennen.

X: F�r mich war nur denkw�rdig, was in jener Nacht geschah... nicht die Physiognomie des Partners.

Arendt: Verstehe.

X: Das bezweifle ich. (Kleine Pause) Dazu h�tten Sie die blauen Flecken auf meinem K�rper sehen m�ssen.

Arendt: Aber Sie gingen trotzdem wieder zu ihm?

X: Aber nicht, um mir weitere Bluterg�sse zu holen. Ich ging wieder hin, weil ich dachte, er w�re bereit, mich wiederzusehen. Ich war (Z�gert)... ich wollte mit ihm �ber Benjamin sprechen. Es ging mir um ein Gespr�ch, nicht um Geschlechtsverkehr. Ich wollte nicht bei gewissen sadomasochistischen Handlungen mitmachen. Adorno hat mich zutiefst verletzt, und das werde ich ihm heimzahlen.

Arendt: Wor�ber genau wollten Sie mit ihm sprechen?

X: Ich wollte seine Meinung �ber meine Hypothese bez�glich Benjamins pornographischen Interessen h�ren... die v�llig anders waren als die von Kafka.

Arendt: Und die w�ren?

X: Im Jahr vor seinem Selbstmord ver�ffentlichte Benjamin seinen ber�hmten Essay �ber das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. K�nnte er sich danach nicht einem Pendant zugewandt haben, etwa der "Pornographie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit"? Ich wollte Adornos Meinung dazu h�ren. Aber er gab mir keine Chance, und darum will ich ihn zwingen, es jetzt schriftlich zu tun. Ich glaube, Frau Adorno w�rde es verstehen, und Sie vielleicht ebenfalls.

����� Pause.

Arendt: Und, was erwarten Sie nun?

X: Eine Karriere in der akademischen Welt. Anerkannt zu werden. Und um das zu erreichen, brauche ich f�r mein Buch Ihr Vorwort. Verfasst von Ihnen und dem ach so arroganten Professor Adorno nat�rlich.

Arendt: Verstehe. All das nur f�r ein Buch?

X: Nein, Professor Arendt, nicht nur f�r ein Buch, sondern f�r mein Leben. Aber auch aus Rache.

Arendt: Gestatten Sie, dass ich Ihnen einen Rat gebe: Verletzt zu werden ist wesentlich leichter, als selbst zu verletzen.

X: Woher wollen Sie das wissen?

Arendt: Das sagt die Erfahrung einer Frau, die doppelt so alt ist wie Sie... und die schon auf beiden Seiten dieser Gleichung gestanden hat. Sehen Sie - ich war einmal wie Sie - eine junge und leicht zu beeindruckende Studentin... und auch ich fiel dem Charme einer �lteren Autorit�tsperson zum Opfer...

X: Heidegger. Das ist allgemein bekannt. Aber ich f�rchte, hier enden die �hnlichkeiten zwischen uns... Ich will gerne zugeben, dass Martin Heidegger einer der wichtigsten deutschen Philosophen seiner Generation war -

Arendt: Der wichtigste!

X: Da bin ich anderer Ansicht, und Professor Adorno w�rde es noch lautst�rker bestreiten. Aber darum geht es nicht... ob er die Nummer 1 oder die Nummer 3 war. Sie, eine j�dische Studentin, und er ein katholischer Ex-Theologe und prototypischer Nazi -

Arendt: Kein prototypischer. H�chstens ein verhinderter Pseudo-Nazi... und selbst das nur kurze Zeit.

X: Gro�er Gott! Wollen wir jetzt etwa �ber die Nuancen des Nazismus... oder des Nazitums debattieren... falls es dieses Wort �berhaupt gibt? Die Frage lautet schlicht und einfach, warum Sie, eine J�din, einen solchen Menschen Jahrzehnte sp�ter w�hrend seines Entnazifizierungsverfahrens verteidigt haben.��

Arendt: Sie lassen au�er Acht, welche Wirkung die Bereitschaft eines Professors, Ehebruch zu begehen, auf eine Studentin hat. Ich hatte geglaubt, gerade Sie w�rden das nur zu gut verstehen...

X: Ich dachte, Sie seien anders.

Arendt: Das dachte ich auch... damals. Aber Jahre sp�ter stellte ich fest, dass es komplizierter ist, als man denkt.

X: (pl�tzlich mit leiser Stimme) Das ist es immer. Sind wir nicht alle auf der Suche nach dem Gl�ck? Ich habe es noch nie gefunden. Und Sie?

Arendt: Gelegentlich.

X: Bei Heidegger?

Arendt: Nein, das war etwas anderes... das war weit mehr als Gl�ck. Aber ich fand es bei Heinrich... meinem zweiten Mann.

X: Dann k�nnen Sie froh sein.

Arendt: Was ich sagen will, ist Folgendes. So verletzend Adornos Verhalten Ihnen gegen�ber auch gewesen sein mag - Sie waren nicht diejenige, die er verletzen wollte.

X: Sie waren nicht dabei.

Arendt: Das war auch gar nicht n�tig. Es war die Idee, die Sie f�r ihn verk�rperten - die junge und heiratsf�hige Studentin, die auf seine Marotten eingeht. Das Gef�hl, das Sie ihm �ber sich selbst vermittelten. Wenn er also einer Sache schuldig ist, dann der, dass er nicht zugibt, dass Liebe und Sex Dinge sind, die nichts mit seinem Intellekt zu tun haben. Ein Fehler, f�r den er, wie ich glaube, nun bezahlen muss.

X: Das ist keine Entschuldigung daf�r, dass er mich verletzt hat.

Arendt: Eigentlich - waren Sie genauso schuld. Nicht an den blauen Flecken - obwohl Sie, wie Sie sagen, bereitwillig mitspielten - sondern weil Sie sich falsche Vorstellungen gemacht hatten und diese Realit�t werden lie�en. Auch Sie hatten eine Idee von Professor Adorno - wer er war und was er verk�rperte - was er f�r Sie tun konnte. Auch Sie verschm�hten die Realit�t zugunsten der Welt der Ideen. Ist es nicht so?

����� X schweigt.

Arendt: Sie wissen, dass ich Recht habe. Ich stelle mich hier nicht als frei von Fehlern hin - schlie�lich verhielt ich mich genau wie Sie, als ich sogar j�nger war als Sie. Ich glaube nur, dass in Sie in diesem Fall einen Groll hegen, wo er Ihnen nicht n�tzt.

X: Soll ich etwa alles vergessen? Und hoffen, auch ohne die Hilfe von Beziehungen Erfolg zu haben? Im akademischen Bereich? So naiv bin ich nicht.

Arendt: Sie werden noch feststellen, dass die Welt f�r die meisten Problem mehr als eine L�sung bereith�lt.

����� Hannah dr�ckt ihre Zigarette aus. Sie sieht X an.

Arendt: Wenn Sie h�flich darum bitten.

����� Hannah z�ndet wieder eine Zigarette und h�lt sie X hin, die sie nimmt. Die beiden Frauen sehen sich lange in die Augen.

Arendt: Sie und ich haben mehr gemeinsam, als Sie glauben.

����� Beleuchtung aus.

 

Ende der elften Szene

 

Zw�lfte Szene

 

��� R�ckblick - Dunkelheit. Beleuchtung an auf Walter Benjamin (in den Vierzigern), der in einem kleinen Hotelzimmer in einem Sessel sitzt, ��� neben ihm seine Aktentasche. Vor dem Fenster sind vielleicht ���� Stra�enger�usche zu h�ren.

���

��� Er holt einen Brief heraus und h�lt ihn auf dem Scho�. Er spricht zum Publikum.

 

Walter: F�nfundzwanzigster September 1940. Ich bin in einem kleinen Zimmer im Hotel de Francia direkt hinter der franz�sischen Grenze. Mit Hilfe meiner Freundin Lisa Fittko habe ich versucht, �ber Spanien und Portugal zu Euch, Gretel und Teddie, nach Amerika zu kommen. Aber ich habe kein franz�sisches Ausreisevisum, und es gibt Ger�chte, dass die spanische Polizei inzwischen alle Neuank�mmlinge auf solche Dokumente hin �berpr�ft. Alles, was ich habe, ist ein wenig Geld und etwas Morphium f�r mein Leiden. Mir bleibt nichts anderes �brig, als ein Ende zu machen. Hier, in Portbou, in dieser kleinen Grenzstadt in den Pyren�en, wo mich niemand kennt, wird mein Leben enden. Ich habe nicht mehr genug Zeit, um alle Briefe zu schreiben, die ich gerne schreiben w�rde.

Es gibt ein Gem�lde von Paul Klee, das Angelus Novus hei�t.

 

����� W�hrend er spricht, erscheint im Hintergrund das projizierte Bild des Angelus Novus von Paul Klee und bleibt dort, w�hrend Walter

����� spricht.

 

Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als w�re er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Fl�gel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unabl�ssig Tr�mmer auf Tr�mmer h�uft und sie ihm vor die F��e schleudert. Er m�chte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenf�gen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Fl�geln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schlie�en kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den R�cken kehrt, w�hrend der Tr�mmerhaufen vor ihm zum Himmel w�chst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.

 

����� Walter geht ab, w�hrend das Bild des Angelus Novus verschwindet.

 

��� Ende der zw�lften Szene

 

 

Dreizehnte Szene

���

��� Hannah und X sitzen nebeneinander am Esstisch, �ber das Manuskript von X gebeugt und ins Gespr�ch vertieft. Die T�r fliegt auf, und Adorno tritt ein, gefolgt von Gretel.

 

Adorno: Und dass ich dir einen Traum erz�hlt habe, brachte das Fass zum �berlaufen?

Gretel: Nein.

Adorno: (schweigt lange) Dann gibt es also nichts mehr zu sagen?

Gretel: Nein.

Adorno: Ich gebe zu, dass eine Bibliothek sexuell erregend sein kann.

Gretel: Ich w�rde sogar weiter gehen und "unwiderstehlich verf�hrerisch" sagen.

Adorno: Was nicht hei�t, dass meine Bibliothek diese Anziehungskraft je f�r dich besessen h�tte.

Gretel: Stimmt. Als mein Mann warst du schlie�lich nicht gerade die verbotene Frucht. Und soweit ich wei�, steht auch auf keinem deiner B�cherregale eine zweite Reihe mit verbotenen B�chern... die ultimative Idee eines literarischen Vorspiels.

Adorno: Idee... jetzt redest du wie ein Wissenschaftler.

Gretel: Und dadurch f�hlst du dich bedroht?

Adorno: (seiner selbst unsicher) Ich wei� nicht...

Arendt: Ah, sehr gut. Sie haben sich gefunden.

Adorno: Sie sa� in einem Caf�, als w�re nichts passiert.

Gretel: Es ist ja auch nichts passiert.

Adorno: Wie kannst du...

Gretel: Walter und ich haben nichts getan...

Adorno: Ich spreche von denken, nicht von tun.

Gretel: Was mehr ist, als ich von deinen zahlreichen Seitenspr�ngen sagen kann.

Adorno: Ich habe dir doch gesagt - die hatten nichts zu bedeuten!

Gretel: F�r mich schon.

Adorno: Ich bin immer davon ausgegangen, dass du... monogam bist.

Gretel: Das war ich auch. Das bin ich auch.

Adorno: Nein. Du warst geistig promiskuitiv.

Gretel: Und du warst k�rperlich promiskuitiv.

Adorno: Ja, aber... das hast du immer gewusst. Ich habe es dir nie verheimlicht. Das war Teil unseres Arrangements.

Gretel: (ironisch) Ach ja... unser Arrangement. Ich war deine Sekret�rin, deine Haush�lterin, die H�terin deines Terminkalenders, dein Faktotum... in anderen Worten: deine Ehefrau. Und ich habe deine Korrespondenz erledigt.

Adorno: Und was hat das mit Walter zu tun?

Gretel: Ein Akt der Selbsterhaltung. Ich war in all den Jahren von fr�h bis sp�t f�r dich da... und zwar gern... und habe dabei auch den letzten Rest Eigenst�ndigkeit aufgegeben. Ich, eine promovierte Chemikerin... Managerin in der Industrie... eine Frau mit scharfem Verstand... gab alles auf... f�r dich. Nur in den Jahren meines heimlichen Briefwechsels mit Walter... in denen ich ihn auch finanziell unterst�tzte... hatte ich das Gef�hl, eine Frau aus eigenem Recht zu sein. Wir duzten uns, w�hrend du und Walter noch immer per Sie wart. Zwischen uns bestand eine Intimit�t, die es zwischen dir und ihm nicht gab.

Adorno: Eine Intimit�t der Sprache?

Gretel: Alles, was wir hatten, waren Worte. Du warst mir chronisch und unverhohlen untreu. Ich k�nnte dir Ort und Zeit nennen, da du es ja nie verheimlicht hast. Ellen Dreyfus, Ren�e Neil, Charlotte Alexander, Arlette Pielmann, die New Yorker Masochistin Carol und Gott wei� wer sonst noch alles. Au�er Charlotte und dieser Frankfurter Anw�ltin Eva... waren alle Schauspielerinnen....

Adorno: Zumeist M�chtegern-Schauspielerinnen...

Gretel: M�chtegern oder nicht... Der Sex war real. Die Untreue war real. Es ging immer um Sex und Vollzug. Das Verlangen nach Sch�nheit und nach Abwechslung, das eine Ehefrau niemals befriedigen konnte.

Adorno: Weil wir hier von Hormonen sprechen. Ich konnte nicht anders.

Gretel: Von Pheromonen, nicht blo� von Hormonen. Du, Teddie, bist der lebende Beweis f�r die Existenz menschlicher Pheromone.

Adorno: Meine Frau, die Chemikerin, gl�nzt mal wieder in der einzigen Disziplin, in der sie ihrem Mann �berlegen ist. Willst du diese kryptische chemische Information nicht n�her erl�utern?

Gretel: Erstens einmal bist du nicht gerade gut aussehend -

Adorno: Das habe ich auch nie behauptet. Und wo steht Walter auf deiner Sch�nheitsskala?

Gretel: Nicht weit weg von dir. Was M�nner wie du und Walter absondern... und zwar in unersch�pflichen Mengen... ist eine Art intellektuelle Aura, die intelligente, gebildete Frauen anzieht wie eine brennende Kerze die Motten. An deinem Geburtstag schw�rmte einer deiner ehemaligen Studenten von dir im Radio. "Ihn zu beobachten, wie er vor Studentinnen philosophierte, war einfach phantastisch. Danach waren diese Frauen so hin und weg, dass sie nur noch sagen konnten: 'Ach, du meine Fresse, Adorno!'" Kein Wunder, dass ich trotz all deiner Seitenspr�nge... deiner so genannten Liebesaff�ren... die allesamt letztendlich ungl�cklich waren... dass ich trotz allem bei dir geblieben bin.

Adorno: Und warum?

Gretel: Weil ich wei�, von welch kurzer Dauer chemische Reaktionen sind. Nur kovalente Bindungen haben Bestand.

Adorno: Spricht da wieder die Chemikerin? (H�lt den Brief hoch.) Und das hier?

Gretel: Walter und ich waren voneinander abh�ngig. Es gibt verschiedene Arten von Bindungen.

Adorno: Und mit welcher Art Bindung hat das hier zu tun? (Wedelt wieder mit dem Brief.)

Gretel: Mit Bindung und Abh�ngigkeit.

Adorno: Abh�ngigkeit welcher Art?

Gretel: F�r mich war es eine emotionale...

Adorno: Und f�r ihn?

Gretel: Ebenfalls.

Adorno: Keine finanzielle?

Gretel: Ich half ihm... und ich sch�me mich nicht, es zuzugeben. Erinnerst du dich, wie ich zu ihm sagte, dass ich ihn anstelle des Kindes adoptiere, das ich nie haben werde? Nicht, dass ich dir einen Vorwurf daraus mache. Wir entschieden uns beide, keine Kinder in diese schreckliche Welt zu setzen, stimmt's?

Adorno: Und jetzt bereust du es?

Gretel: Jetzt bin ich zu alt. Glaubst du wirklich, dass es mir Spa� gemacht hat, all diese Briefe an deine Liebschaften zu schreiben? Mir die Dinge vorzustellen, die du mir erz�hlt hast, wenn du mir abends einen Kuss auf die Stirn gabst und in dein eigenes Bett gingst?

Adorno: Die getrennten Schlafzimmer waren gemeinsam abgesprochen...

Gretel: Ja, das glaubst du.

Adorno: Weil wir besser schlafen...

Gretel: Der eine von uns jedenfalls. Die andere musste daran denken, was sie getippt hatte... in diesen Briefen an andere Frauen. Kannst du es mir da ver�beln, dass ich den Wunsch hatte, auch eigene Briefe zu schreiben? In meinem Fall waren diese Phantasien genau das... Phantasien.

Adorno: F�r dich. F�r mich sind sie nichts anderes als Untreue...

Arendt: Weil Ideen Ihr Handwerkszeug sind.

Adorno: Ganz recht. (Er nimmt Hannah und das Manuskript zum ersten Mal wahr.) Was machen Sie da?

Arendt: Ich zeige ihr, wie man sich auf diesem Gebiet tats�chlich Anerkennung verdient... von Frau zu Frau. Sie sehen - ich akzeptiere sie als realen Menschen. Als eine Person, der ich m�glicherweise sogar helfen werde.

Adorno: Sie wollen ihr helfen?

Arendt: Wo ich kann.

Adorno: (polternd) Na sch�n.

Arendt: (sieht Gretel an) Ja. Ich glaube, Sie haben Ihre Lektion gelernt.

����� Gretel erwidert ihren Blick und schweigt.

Keine Sorge - sie wird Ihre Briefe nicht ver�ffentlichen.

Adorno: Das ist der erste vern�nftige Satz, der heute Abend gefallen ist. Dann kann sie sie ja meiner Frau zur�ckgeben...

Arendt: Oh, das bezweifle ich.

Adorno: Weil sie etwas gegen mich in der Hand haben will? Weil ich nach ihrer Pfeife tanzen soll? Da wird sie kein Gl�ck haben.

Gretel: Teddie!

Arendt: Nein... darum geht es nicht. Ich glaube, sie hat bereits alles, was sie von Ihnen braucht.

��� W�hrend sie reden, steht X auf und nimmt die Aktentasche an sich.

Adorno: Was? Sie hat mich gedem�tigt. (Wendet sich an X.) Sie wollten ebenfalls Ihre Spuren hinterlassen? O ja, jetzt erinnere ich mich. Sie mochten es, hart rangenommen zu werden, was?

Gretel: O mein Gott! Du erinnerst dich also doch an sie?

Adorno: (Bemerkt die Aktentasche) Moment mal. Ist das die Aktentasche? (Er sieht Hannah finster an.) Haben Sie sie gesehen?

Arendt: Beruhigen Sie sich, Teddie. Niemand hat Sie betrogen. Au�er in Ihrem Kopf.

Adorno: (zu X) Darauf haben Sie also hingearbeitet, was?

����� Er st�rzt auf sie zu. Sie weicht ihm aus.

Adorno: Soweit ich mich erinnere, gefiel es Ihnen, gejagt zu werden...

�����

����� Gretel versucht, ihm den Weg zu verstellen. Er nimmt kaum Notiz von ihr, ehe er sie beiseite st��t.

����� Er will sich wieder auf die Aktentasche st�rzen, verfehlt sie aber. Er bemerkt nicht, dass X sich immer mehr auf den offenen Kamin zubewegt.

 

Adorno: Das kleine Biest mag Spielchen, was?

Gretel: Teddie!

����� Er will wieder an die Aktentasche und bekommt sie zu fassen. Sie k�mpfen darum.

Adorno: F�r Sie war der ganze Abend bestimmt ein Heidenspa�.

 

����� Sie k�mpfen um die Aktentasche, zerren sie hin und her. Schlie�lich kann Adorno sie nicht l�nger festhalten und l�sst los. � X taumelt nach hinten. Sie f�ngt sich am Kaminsims, h�lt die Aktentasche dann l�ssig �ber das Feuer und l�sst sie hin und her schaukeln.

 

X: Nein, kein Spa�. Weit gefehlt! Rache ist nie lustig.

 

����� Adorno und Arendt sind wie erstarrt. Sie wollen auf keinen Fall, dass Benjamins letzte Schriften vernichtet werden.

 

Arendt: Fr�ulein, ich dachte, wir w�ren uns einig. Ich werde Ihnen helfen. Wir sorgen daf�r, dass Sie ver�ffentlicht werden.

����� X ignoriert sie, schlenkert nur mit der Aktentasche.

Arendt: Bitte. Alles, was Benjamin geschrieben hat, ist von gr��ter Bedeutung.

Adorno: Wollen Sie Geld? Wenn es Ihnen darum geht, bin ich bereit zu bezahlen.

Arendt: (steht auf) Teddie! Kapieren Sie denn nicht, dass es hier nicht um Geld geht?

X: (zu Arendt) Sie werden Ihr Wort halten? Sie werden mir helfen?

Arendt: Selbstverst�ndlich! Das sagte ich doch bereits.

X: Versprechen Sie es.

Arendt: Ich verspreche es.

X: Ich muss Ihnen ein Geheimnis verraten.

Adorno: Noch eines?

X: Sie sagten, dass ich Spielchen liebe.

����� Sie h�lt die Aktentasche �ber das Feuer, ohne sie fallen zu lassen.

Adorno: Um Himmels willen, tun Sie das nicht!

 

����� Adorno st�rzt zum Feuer, um die brennende Aktentasche zu retten, bleibt aber stehen, als Gretel sich ihm in den Weg stellt. Er versucht, ihr auszuweichen, aber diesmal l�sst sie ihn nicht vorbei. In ihren Augen liegt eine neue H�rte.

 

Adorno: Aus dem Weg, Gretel!

�����

��� Gretel r�hrt sich nicht von der Stelle. Adorno starrt sie an, versucht abermals erfolglos, an seiner Frau vorbeizukommen.

 

X: An Ihrer Stelle w�rde ich es erst gar nicht versuchen. Ihre Frau ist heute Abend schon w�tend genug auf Sie. Zwecklos, sich wegen eines weiteren Spielchens zu echauffieren.

Arendt: Sie sch�nden wom�glich Dokumente, die f�r die Welt, in der Sie Fu� fassen wollen, von unsch�tzbarem historischem Wert sind. Und das in jeder Sekunde, in der diese Aktentasche brennt. Das muss Ihnen doch klar sein!

X: Ich sehe das anders. Das ist inkriminierendes Forschungsmaterial f�r das Pornographie-Projekt, von dem ich Ihnen erz�hlt habe. Falls man es findet, wird der Eindruck entstehen, dass Benjamin ein aktiver Pornograph war... Erweise ich da nicht allen einen Gefallen, wenn ich es vernichte?

����� Alle starren sie an.

X: (zu Adorno) Sie haben Recht. Ich mag Spielchen. Also spielen wir. Ich fange an.

����� Sie wirft die Aktentasche vor ihren F��en auf den Boden.

Jetzt sind Sie dran.

����� Adorno packt die Aktentasche. Er versucht sie zu �ffnen.

Adorno: Sie ist abgeschlossen. Wo ist der Schl�ssel?

X: Ach ja, der Schl�ssel. Den gebe ich Ihnen, nachdem das Buch erschienen ist. Mit Ihrem Vorwort darin.

����� Adorno blickt zu Gretel, dann zu Arendt.

Adorno: Warum helfen Sie ihr? Warum?

Arendt: Weil ich glaube, dass sie lange genug darauf gewartet hat, ihr Leben zur�ckzubekommen, meinen Sie nicht?

Adorno: Ich k�nnte das Schloss jederzeit aufbrechen.

X: Ach, Professor Adorno. Glauben Sie wirklich, dass das die echte Aktentasche ist? Wenn dem so w�re, dann w�re das ja wohl kaum ein Spiel, oder?

Adorno: Was?

Arendt: Das ist gar nicht die echte Aktentasche?

X: Nat�rlich nicht! Aber wie h�tte ich Sie sonst dazu bewegen k�nnen herzukommen?

Adorno: Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie sie haben.

X: Dann warten Sie ab, was passiert, wenn ich der Welt pr�sentiere, was ich gefunden habe.

����� Pause.

Adorno: Ich weigere mich, mich erpressen zu lassen. Ich weigere mich, den Namen meiner Frau - meine Ehe - von einem rachs�chtigen kleinen Luder ruinieren zu lassen.

����� Er wirft die Aktentasche auf den Boden und st�rmt hinaus. Gleich darauf kommt er wieder herein.

Adorno: Gretel. Warum kommst du nicht? Mir reicht's hier.

Gretel: Mir nicht. Ich komme sp�ter nach.

����� Er geht wieder ab. Gretel steht langsam auf.

Gretel: Wenn Walter hier w�re (zu Arendt)... h�tte er mich gefragt...

����� Pause, w�hrend Arendt die Aktentasche begutachtet. X sitzt, ohne ihr zuzusehen, auf einem Stuhl, f�r das Publikum sichtlich aufgew�hlt.

... warum ich die Briefe nicht vernichtet habe? (Kurze Pause) Weil ich sie brauchte, um mit Teddies fortw�hrender Untreue fertig zu werden. Ich habe sie wieder und wieder gelesen... ein fortw�hrendes Vorspiel. Aber vielleicht wollte ich auch, dass Teddie sie entdeckt. Zum Zeitpunkt von Walters Selbstmord wusste kaum jemand, was f�r ein Genie verloren gegangen war. Aber nun, dank Teddie, ist Walter auf dem Parnass. Er ist der Engel der Geschichte geworden, den er in Klees Angelus Novus sah. Sollen die Briefe ruhig verbrennen.

X: Es gibt keine Briefe. Ich fand nur die, die ich Ihnen gegeben habe. Ich habe lediglich extrapoliert, dass es noch mehr geben muss. Aber ich wusste genau, dass Sie alle kommen w�rden, wenn ich sage, dass ich die Aktentasche habe. Es war nichts weiter als eine Idee. Es war die ganze Zeit nichts weiter als eine Idee.

 

��� Beleuchtung langsam aus, w�hrend im Hintergrund wieder das Bild des Angelus Novus erscheint. BENJAMIN erscheint mit der echten Aktentasche, holt einen Stapel Papier heraus und bl�ttert ihn ���� hektisch durch. Er findet ein bestimmtes Blatt und zerrei�t es, dann ein zweites, dann noch eines. Dann gibt er es auf, nach weiteren zu suchen, und packt statt dessen wahllos mehrere Bl�tter auf einmal, die er schneller und schneller in kleine Fetzen zerrei�t und in die Luft ��� wirft, sodass sie auf ihn fallen wie die Tr�mmer in Klees Gem�lde.

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��� Beleuchtung langsam aus, w�hrend Benjamin die Fetzen aufhebt und ins Feuer wirft.

 

Ende