Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.05.2008, Nr. 21 / Seite 28

 

 

Der Mann, der nie zufrieden ist

 

Carl Djerassi, Autor und Erfinder der Antibabypille, �ber Machos in der Wissenschaft, j�dische Intellektuelle und Schreiben als Therapie

 

Der Morgen ist mild, und die Sonne l�sst sich bereits zaghaft �ber der Wiener Innenstadt sehen. P�nktlich um acht wartet der kleine Professor mit braunem Rollkragenpullover und lederner Umh�ngetasche auf seine Verabredung. "Dort dr�ben", sagt er nach einer herzlichen Begr�ssung und zeigt mit seinem Gehstock auf die gegen�berliegende Strassenseite, "dort dr�ben k�nnen wir wunderbar fr�hst�cken. Franz�sisch. M�gen Sie franz�sisch?" Und schon h�lt der 84-J�hrige Kurs auf das Lokal.

 

In seinem ersten Leben war Carl Djerassi Naturwissenschaftler, genauer gesagt: Chemiker. Mit achtundzwanzig kam er zu Weltruhm, erfand die Antibabypille und wurde damit ein steinreicher Mann. Er war Professor in Stanford und bereiste in dieser Funktion den gesamten Globus, um �ber die sexuelle Revolution zu dozieren und �ber Verh�tung, �ber menschliche Reproduktion und �ber vieles mehr, mit dem er sich im Laufe seiner langj�hrigen Karriere besch�ftigt hat. Doch �ber all das m�chte er heute eigentlich nicht reden - es langweile ihn. Lieber spricht Carl Djerassi heute von seinem zweiten Leben, von seinem Leben als Dramatiker und Autor, von seinem Leben also als Intellektueller, wie er selber sagt.

 

Das Cafe wird gerade ge�ffnet. Carl Djerassi nimmt an einem Ecktisch zur Strasse hin Platz und kramt aus seiner schwarzen Umh�ngetasche ein umst�ndliches Holzgestell hervor, klappt es auf, stellt es vor sich auf den Boden und legt sein linkes Bein darauf ab. Vor vielen Jahren, erkl�rt er, habe er einen Unfall gehabt, und seither qu�le er sich mit diesem steifen Bein. Djerassi lacht. Er lacht viel an diesem Morgen, und das so wohltuend jung und weise und so herzensgut, dass es eine Freude ist, ihm dabei zuzusehen.

 

Vor uns, auf dem Fr�hst�ckstisch, liegt sein neuestes Werk, ein knapp zweihundert Seiten umfassendes Buch mit dem Titel "Vier Juden auf dem Parnass". Djerassi arrangiert darin ein postmortales Treffen der besonderen Art. Ein Treffen zwischen den Philosophen Theodor W. Adorno und Walter Benjamin, dem Religionshistoriker Gershom Scholem und dem Komponisten Arnold Sch�nberg. Djerassi geht es nicht um die geistigen Errungenschaften dieser deutschsprachigen Grossintellektuellen des 20. Jahrhunderts. Jedenfalls nicht direkt. Es geht dem Autor um Gr�sseres - n�mlich um Macht und Sex und Geld und Ruhm, es geht ihm um die Frage nach der eigenen Identit�t und, nat�rlich, auch um die Liebe. Und das Schreiben, sagt Carl Djerassi in seinem amerikanisch gef�rbten Deutsch, war die reinste Autopsychoanalyse.

 

 

FRAGE:�ber drei Jahre haben Sie an Ihrem neuen Buch gearbeitet . . .

 

 

ANTWORT: . . . ja, und deshalb ist dieses Buch f�r mich sehr wichtig. Es war ein Therapieren der �rgsten Jahre meines Lebens.

 

 

FRAGE: Wie meinen Sie das?

 

 

ANTWORT: In diesen Zeitraum fiel der Tod meiner Frau. Wir haben schon zwei, drei Jahre gewusst, dass sie sterben wird. Und unter diesem Damoklesschwert des Todes zu leben . . .

 

 

FRAGE: Sie haben es genau in dieser Zeit geschrieben?

 

 

ANTWORT: Ja. Ich muss sagen, das war f�r beide schon eine sehr intensive Zeit. Ihr letztes Buch war eine Biographie von Ovid. Sie hat sich w�hrend dieser Zeit so damit besch�ftigt, dass sie ihre Krankheit eigentlich vergessen hat. Und ich habe mich total mit diesem Thema besch�ftigt, mit Adorno, Scholem, Benjamin und Sch�nberg.

 

 

FRAGE: Ihre Frau, Diane Middlebrook, war eine renommierte amerikanische Biographin. Hat sie Ihr Buch noch lesen k�nnen?

 

 

ANTWORT: Wir haben uns gegenseitig immer die Manuskripte gezeigt. Und sie hat damals noch gesagt, dass es das beste Buch sei, das ich je geschrieben habe. Wir wollten beide unsere Arbeit noch fertigkriegen, und meine Frau wollte das dann mit mir feiern. Sie ist leider kurz vorher gestorben.

 

 

FRAGE: Sie war eine wichtige Kritikerin f�r Sie.

 

 

ANTWORT: Sie war brutal: Out, out, out! Und ich dachte immer, um Gottes willen, das war doch gerade die grosse literarische Erfindung. Sie hat einen riesigen Einfluss auf meine Arbeit gehabt, weil ich ein totaler Autodidakt bin, und Diane war eine phantastische Autorin.

 

 

FRAGE: In Ihrem neuen Buch gehen Sie nicht gerade zimperlich mit den "Vier Juden auf dem Parnass" um. Walter Benjamin etwa dichten Sie eine pornographische Ader an, Sie schreiben �ber seinen r�den Umgang mit Frauen, er schneidet von allen am schlechtesten ab. Warum?

 

ANTWORT: Ich muss Ihnen gleich sagen, dass ich nichts gegen Benjamin habe. Im Gegenteil.

 

 

FRAGE: Aber?

 

 

ANTWORT: Ich wollte etwas Humanisierendes schreiben. Ich habe mich in Scheidungspapiere eingelesen. Ein einziger Skandal. Benjamin hat sich seiner Frau gegen�ber schrecklich benommen und wollte ihr ganzes Geld haben. Er war ein Schnorrer. Er war, wenn man so will, der Verdorbenste von allen. Aber im Grunde genommen war Benjamin ein armer Teufel.

 

 

FRAGE: Auch Scholem und Adorno kommen in Ihrem Buch nicht sonderlich gut weg.

 

 

ANTWORT: Niemand hat bis heute geschrieben, dass Scholem Ehebruch begangen hatte. Ich habe auch schon Ehebruch begangen, nichts Ungew�hnliches also. Aber Scholem hat in der �ffentlichen Wahrnehmung immer ein total anst�ndiges Leben gef�hrt.

 

 

FRAGE: Was interessiert Sie so daran?

 

 

ANTWORT: Alle Romane, die ich vorher geschrieben habe, die ich die Science-in-Fiction-Romane nenne, zeigen das Benehmen, die menschliche Seite von Naturwissenschaftlern. Das sind alles St�mme, die Naturwissenschaften, aber eben auch die Philosophie. Und mich interessiert das Stammesbenehmen dieser Leute.

 

 

FRAGE: Was meinen Sie genau damit?

 

 

ANTWORT: Dinge wie Konkurrenz und Egozentrik, die gerade bei Naturwissenschaftlern sehr typisch sind. Ich bin das beste Beispiel daf�r. Und ich wollte immer dar�ber schreiben. Das kann man auch erst, wenn man schon �lter ist und weiss, welche Fehler man selber gemacht hat.

 

 

FRAGE: F�r Ihre Recherchen haben Sie in Archiven gesucht, mit Experten gesprochen und Biographien gew�lzt. Wie nah ist Ihr Buch an der Realit�t dieser vier j�dischen Intellektuellen?

 

 

ANTWORT: Die Sache mit der Pornographie bei Benjamin ist eine Hypothese von mir. Aber sonst ist das Buch faktisch total richtig. Jeder Satz ist in seinem Inhalt korrekt, zwar in meiner Sprache geschrieben, aber korrekt. Gudrun Schwarz etwa, eine Frau, die mehr als jeder andere �ber Walter Benjamin Bescheid weiss, sagte zu mir: Endlich fragt mal jemand nach den Sachen, die ich immer wissen wollte.

 

 

FRAGE: Warum brauchte es Carl Djerassi, um diese Fragen zu stellen?

 

 

ANTWORT: Ich habe als Outsider kein Problem damit gehabt, Fragen zu stellen. Das war mein Vorteil.

 

 

FRAGE: Und Sie geniessen Ihre Rolle.

 

 

ANTWORT: Mich betrachten die Leute ja noch immer als Chemiker, der in die Literatur geht und seine Nase in fremde Sachen steckt.

 

 

FRAGE: St�rt Sie das denn?

 

 

ANTWORT: Nat�rlich irritiert mich das. Chemiker sind Machos, die Forschung im Labor betreiben und nicht kapieren, dass Literatur viel schwieriger ist. Da bin ich total alleine. Ich habe da niemanden, aber ich kann auch niemanden brauchen.

 

 

FRAGE: Warum hat es Sie vor knapp zwanzig Jahren aus den Naturwissenschaften in die Literatur gezogen?

 

 

ANTWORT: Sich zu ver�ndern und sich immer wieder neu zu entwickeln ist f�r mich lebensnotwendig. Ich k�nnte gar nicht anders leben. In den Naturwissenschaften gibt es keine intellektuelle Auseinandersetzung mit anderen Gebieten.

 

 

FRAGE: Fehlt den Wissenschaftlern diese menschliche, diese intellektuelle Ader?

 

 

ANTWORT: Die meisten Wissenschaftler besch�ftigen sich �berhaupt nicht damit. Das liegt auch daran, dass das total m�nnlich dominierte Gebiete sind. Mich interessierten irgendwann mehr das Schreiben, die Diskussionen, und deshalb habe ich auch so viel mehr mit Frauen zu tun als mit M�nnern.

 

 

FRAGE: Die Frauen haben Sie f�r die Chemie verdorben?

 

 

ANTWORT: Ja, ganz bestimmt.

 

 

FRAGE: Ihr Buch handelt vor allem auch von der Suche nach der j�dischen Identit�t. Ist das eine Frage, die Sie ein Leben lang begleitet hat?

 

 

ANTWORT: Nein. Es gibt viele Fragen, die mich vorher nicht besch�ftigt haben. Und ich wollte diese Fragen auch nicht diskutieren. So mit sechzig Jahren fing ich erst an, mir Fragen zu meiner Person zu stellen. Sp�t, sehr sp�t, aber immerhin.

 

 

FRAGE: Was ist an Ihnen denn nun typisch j�disch?

 

 

ANTWORT: Meine Frau brachte mich mal darauf, dass ich immer schaue, ob jemand j�disch aussieht oder nicht. Mir war das gar nicht bewusst. Aber sie sagte eben: Was schaust du eigentlich immer, ob der nun j�disch aussieht oder nicht; so what?!

 

 

FRAGE: Sie lassen Sch�nberg in Ihrem Buch genau das sagen: Ein Jude ist der, der sich nicht nur st�ndig fragt, was es bedeutet, Jude zu sein, sondern jemand, der sich auch st�ndig �berlegt, ob sein Gegen�ber Jude ist.

 

 

ANTWORT: Was ich in diesem Satz geschrieben habe, ist meine Meinung. Und auch das Ver�ndern der Namen ist etwas sehr J�disches.

 

 

FRAGE: So wie es etwa Adorno nach seiner Emigration tat.

 

 

ANTWORT: Ja. Das allerdings wollte ich nie. Das h�tte ich als feige empfunden. Ich wollte meine Identit�t wahren. Ich wollte auch stolz auf meinen Namen sein. Und in Zeiten von Google ist es ein Riesenvorteil, einen Namen wie Djerassi zu haben.

 

 

FRAGE: Sie flohen nach dem Anschluss �sterreichs 1938 aus Wien nach Amerika. Gibt es einen Unterschied zwischen amerikanischen Juden und den aus Europa emigrierten Juden?

 

 

ANTWORT: Total. Die amerikanischen Juden haben eine starke, aggressive Selbst�ndigkeit. Das ist ein ganz anderes Selbstverst�ndnis als das der Fl�chtlinge. Das betrifft nat�rlich auch andere Fl�chtlinge. Es ist sehr interessant, dass die j�dischen Studenten meiner Generation damals die besten waren. Das ist heute nicht mehr so, heute kommen die besten Studenten aus Asien. Warum? Weil es f�r Fl�chtlinge der ersten Generation immer der einzige Weg in die Gesellschaft ist.

 

 

FRAGE: Sie hatten also auch das Gef�hl, sich behaupten zu m�ssen?

 

 

ANTWORT: Ununterbrochen. An vielen Orten war ich immer der erste Jude, der einen Platz bekam. Heute sind nat�rlich die Juden �berall mit drin.

 

 

FRAGE: Sie sind heute ein erfolgreicher Dramatiker, Buchautor und Kunstsammler. Sind Sie auch ein zufriedener Mensch?

 

 

ANTWORT: Nein. Aber ich bin generell keine zufriedene Person. Ich will immer mehr, und das ist eine sehr schlechte Eigenschaft. Das ist eigentlich meine pers�nliche Trag�die. Ich bin nie zufrieden.

 

 

FRAGE: Sie sind dauernd unterwegs, Sie wollen als N�chstes wieder ein Theaterst�ck schreiben. Sie k�nnten es doch auch etwas ruhiger angehen lassen . . .

 

 

ANTWORT: Ich f�hre ein recht kompliziertes Leben. Ich bin total alleine. Ich habe zwar eine Sekret�rin in San Francisco, die ein paar Sachen f�r mich erledigt. Aber sonst mache ich alles alleine, meine Korrespondenz, alle Termine, alles. Ich habe so viel zu tun, und ich tue es auch absichtlich. Das ist momentan meine Therapie gegen diese f�rchterliche Einsamkeit.

 

Interview Nahuel Lopez

 

Carl Djerassi: "Vier Juden auf dem Parnass: Ein Gespr�ch. Benjamin - Adorno - Scholem - Sch�nberg". Haymon-Verlag, 212 Seiten, 24,90 Euro